Ungarn

Ungarns Regierungschef Orbán: "Wir wollen Brüssel verändern"

Orbán eröffnete in einem Interview seine politischen Ansichten und Pläne für die Zukunft.
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In einem Interview mit einer slowakischen Zeitung sprach Orbán über seine politischen Ansichten und Pläne für die Zukunft: Ein Bündnis mit Marine Le Pen auf EU-Ebene "liegt in der Luft", außerdem bereite er sich auf den Wahlsieg bei den Parlamentswahlen 2022 vor. Ungarns Medienlandschaft bezeichnet er als ausgeglichen.

Budapest, Bratislava – Der ungarische rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban will mit einem neuen politischen Bündnis "Brüssel verändern". Das sagte er in einem Interview mit der konservativen slowakischen Zeitung "Postoj" (Mittwochsausgabe). In dem umfangreichen Gespräch sprach der Regierungschef im Zusammenhang mit dem Austritt der ungarischen Regierungspartei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) über seine europäischen Ziele.

Brüssel sei in der gegenwärtigen Form nicht in der Lage, den Menschen die entsprechenden Antworten auf ihre Probleme zu geben. Orbán erwähnte als Beispiele die Flüchtlingskrise 2015 sowie die Finanzkrise 2008. "Wir wollten Brüssel gemeinsam mit der EVP verändern, wozu sie nicht bereit war."

Nun müsse ein neues politisches Bündnis geschaffen werden, das auf Brüssel Einfluss nehmen könne. Orbán erwähnte hier die polnische Regierungspartei PiS sowie die italienische Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini. Auf die Frage, ob Orbán mit weiteren Verbündeten rechnet, etwa mit der Vorsitzenden der französischen rechtspopulistischen Partei Rassemblement National, Marine Le Pen, die er früher ablehnte, antwortete der Regierungschef: "Diese Möglichkeit liegt in der Luft."

Orbán rechnet mit Wahlsieg und wehrt Kritik an der Medienpolitik ab

Orbán, der seit 2010 dreimal eine Zwei-Drittel-Mehrheit im ungarischen Parlament eingefahren hat, sagte, er bereite sich auf einen erneuten Sieg bei den Parlamentswahlen 2022 vor. Damit antwortete Orbán auf die Frage nach einer eventuellen Wahlniederlage von Fidesz gegen die Opposition, die sich diesmal enger gegen die übermächtige Regierungspartei verbünden will. Laut Orbán wüssten die Wähler jedoch, welche Werte Fidesz und welche die Opposition vertrete.

Hinsichtlich der Kritik an der ungarischen Medienpolitik betonte der Premier, das ungarische öffentlich-rechtliche Fernsehen sei "weniger regierungstreu als das deutsche". Die ungarische Medienlandschaft sei mittlerweile ausgeglichen. "Als ich an die Macht kam, war das Verhältnis in den Medien 9 und 1 zugunsten der liberalen Ansichten. Heute ist es 50-50." Dies habe allerdings nicht er selbst bewirkt, sondern "christliche Unternehmer", die sich im Medienbereich engagiert hätten. Als normal bezeichnete es der Ministerpräsident zudem, dass mit einer konservativen Regierung die öffentlich-rechtlichen Medien auch eher derart eingestellt seien. Die Einschaltquote des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mache ohnehin nur einen Bruchteil der Kommerzsender aus.

"Was für eine EU?" sei die Frage

Orbán verwies auf die Gefahren der Migration und entstehender Parallelgesellschaften, die große Probleme generierten, etwa in Deutschland. Davor wolle er sein Land schützen. Orbán erwähnte den multikulturellen deutschen Geist und stellte die Frage, was die Deutschen wollten? "Ein deutsches Europa oder ein europäisches Deutschland? Da ist ein riesiger Unterschied", betonte der Premier. Er erinnerte an seinen Mentor, den früheren deutschen Kanzler Helmut Kohl, der "nicht Hegemonie, sondern Pluralismus anstrebte. Er hat anerkannt, dass auch die kleineren Völker das Recht haben, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden". Das sehe Kanzlerin Angela Merkel heute anders.

Leicht lachen hatten sowohl EU als auch Orbán in ihrer Beziehung nicht oft.
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Hinsichtlich der Institutionen der Europäischen Union kritisierte Orban das Europaparlament. Dieses spiele eine "ausgesprochen negative Rolle", indem es die europäische Politik auf die Grundlage der Parteipolitik stelle. Das nutze die europäische Linke für Angriffe auf die Souveränität der Staaten. Die Frage laute demnach nicht, "EU ja oder nein", sondern "Was für eine EU?", betonte Orban.

Im Zusammenhang mit der Zukunft der Union erklärte der Ministerpräsident: Es könne sicher angenommen werden, dass es bis 2030 "kein europäisches Volk" geben wird und weiter Ungarn, Slowaken, Deutsche, Franzosen auf dem Kontinent leben werden, Nationen und Staaten bestehen. Es sei aber fraglich, ob die postchristlichen und postnationalen Gesellschaften fähig seien, ein stabiles Westeuropa aufzubauen.

Hierbei vertraut Orbán mehr auf die Zukunft von Mitteleuropa. "Wir werden eine große mitteleuropäische Renaissance erleben, in Wirtschaft, Demografie, Sicherheitspolitik, Kultur." Laut Orbán habe sich die EU bisher um eine deutsch-französische Achse gedreht, was eine Zwei-Pole-Kooperation war. Bis 2030 werde ein dritter Pol entstehen: Mitteleuropa bzw. die Visegrader Vier (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei, Anm.)

Für die Freiheit, gegen die Liberalen

Die Russland-Politik der EU bezeichnete Orban als "primitiv", weil die Union in dieser Beziehung nur dazu fähig sei, "Ja oder Nein" zu sagen. "Wir brauchen jedoch eine nuancierte Politik, die versteht, dass Russland ein Staat mit großer Kraft ist, der ebenfalls die Kraft respektiert."

Im Interview betonte Orban weiter: "Ich kämpfe gegen die Liberalen für die Freiheit." Er stünde auf der Seite der Freiheit, die Liberalen auf jener der Meinungshegemonie. Dieser diene die politische Korrektheit, mit deren Hilfe die Konservativen und Christdemokraten unmöglich gemacht werden sollen. Laut Orbán existiere aktuell gar keine liberale Demokratie. Es gebe nur eine "liberale Nicht-Demokratie", weil darin zwar Liberalismus enthalten sei, aber keine Demokratie. Gleichzeitig gab er sich aber auch versöhnlich: "Es wäre nicht notwendig, dass die Liberalen nur den Feind in uns sehen. 100 Jahre lang waren sie unsere Verbündeten (gegen den Totalitarismus, Anm.)."

Hinsichtlich der Impfstoff-Beschaffung in der Pandemie erinnerte Orban an das gute Verhältnis zu Russland und China, die als stabile Basis der Absicherung von Impfstoffen gelten. (APA)

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