Blümels Akten in letzter Minute als „geheim“ an U-Ausschuss geliefert
Einmaliger Vorgang in der Republik: Weil sich der Finanzminister weigerte, Akten an den U-Ausschuss zu liefern, beantragte das Höchstgericht beim Staatsoberhaupt Exekution. Dieser kam das Ministerium in letzter Minute zuvor und lieferte 204 als „geheim“ klassifizierte Ordner an den Ausschuss.
Wien – Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Zweiten Republik. Weil sich Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) bislang geweigert hatte, eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu akzeptieren, beantragten die Höchstrichter im Sinne der Verfassung bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Exekution.
Was ist der Hintergrund dieses bislang noch nie dagewesenen Schrittes? Weil Blümel die Aufforderung ignorierte, Unterlagen an den U-Ausschuss zu übermitteln, beantragten die Oppositionsfraktionen bei den Höchstrichtern die Übermittlung der Daten. Der Verfassungsgerichtshof gab bereits Anfang März dem Verlangen von SPÖ, FPÖ und NEOS statt. Blümel muss die E-Mail-Postfächer der Leiterin des Beteiligungsmanagements im Ministerium sowie die Korrespondenzen von Ministeriumsmitarbeitern mit dem nunmehrigen ÖBAG-Chef Thomas Schmid (ÖVP), damals Generalsekretär im Finanzministerium, und anderen Mitarbeitern des damaligen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) dem Ausschuss zur Verfügung stellen. Doch nichts passierte. Also wandte sich die Opposition erneut an den Verfassungsgerichtshof. Nunmehr mit dem Antrag, die Exekution durch den Bundespräsidenten zu erwirken. Auch diesem Antrag wurde stattgegeben – und zwar am gestrigen Donnerstag.
Weil gestern alles so einmalig ist, dann auch der Auftritt des Bundespräsidenten am Nachmittag mit einer Erklärung: „Ich wende mich heute an Sie, weil etwas eingetreten ist, was es in dieser Form in unserem Land noch nicht gegeben hat.“ Diese Situation möge für viele überraschend kommen – „nicht aber für unsere Bundesverfassung“. Diese gebe eine klare Handlungsanweisung vor.
📽️ Video | Bundespräsident zum VfGH-Exekutionsauftrag
Kurz nach der VfGH-Entscheidung dann das Einlenken Blümels. Das Finanzministerium teilte mit, nun doch die geforderten Daten zu übermitteln. „Die VfGH-Entscheidung ist zu akzeptieren und das Bundesministerium für Finanzen wird diesem selbstverständlich unverzüglich und vollumfänglich nachkommen“, hieß in einer schriftlichen Stellungnahme. Blümel habe von Beginn an den Auftrag gegeben, „vollumfänglich mit dem U-Ausschuss zusammenzuarbeiten und die notwendigen Daten (...) zur Verfügung zu stellen“, hieß es in der Stellungnahme.
Das Finanzministerium habe jedoch „eine Fürsorgepflicht gegenüber den 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Daher muss die Wahrung von Daten- und Persönlichkeitsschutz gewährleistet werden, da es auch um höchstpersönliche Daten wie etwa Gesundheits- und Krankendaten geht.“ Blümel habe zuvor dem Bundespräsidenten persönlich versichert, die geforderten Unterlagen vorzulegen. Wenn er, Van der Bellen, vom Ausschuss die Information bekomme, dass diese vollständig geliefert worden seien, erübrige sich die Exekution.
„Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, werde ich meinen verfassungsmäßigen Pflichten entsprechen.“ Die Verfassung lege Demokratie und Rechtsstaat als tragende Säulen des Gemeinwesens fest. Sie schreibe die Gewaltenteilung fest und regle, wer im Staat wofür verantwortlich ist. „Sie regelt unser aller Zusammenleben. An diese Regeln haben wir alle uns zu halten.“
Akten als „geheim“ geliefert
Die Akten sind als „geheim“ klassifiziert. Das bestätigte die Parlamentsdirektion am Freitag. Konkret bedeutet das, dass die Akten im Ibiza-U-Ausschuss nur hinter verschlossenen Türen besprochen werden können, auch dürfen die Abgeordneten anschließend nicht darüber berichten.
Ändern könnte das auf Antrag der Abgeordneten Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Das „Informationsordnungsgesetz“ sieht vier Klassifizierungsstufen für Akten in Untersuchungsausschüssen vor: Eingeschränkt, vertraulich, geheim oder streng geheim. Stufe 3, „geheim“, ist demnach dann angebracht, „wenn die Preisgabe der Informationen die Gefahr einer erheblichen Schädigung“ von Interessen, etwa „der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, den wirtschaftlichen Interessen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts“, schaffen würde.
Opposition kritisiert ÖVP scharf
Und was sagt jetzt die Opposition? Sie übt heftige Kritik an der ÖVP. SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer sprach von einer „wegweisenden Entscheidung“. Er fügte hinzu: „Dass ein ÖVP-Minister durch den VfGH dazu gezwungen werden muss, sich an die Verfassung und an Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zu halten, sagt leider alles darüber, was aus der ÖVP unter Kurz geworden ist.“ Seine NEOS-Kollegin Stephanie Krisper findet es „beschämend“, dass so ein einzigartiges Vorgehen nötig ist. Und FPÖ-Fraktionschef Christian Hafenecker forderte den Rücktritt Blümels.
Transparency International sprach von einem „außerordentlichen Vorgang, der nicht notwendig sein sollte“. Jedermann habe das Urteil eines Höchstgerichts zu befolgen. „Sonst wird der Rechtsstaat ausgehebelt. Ohne Rechtsstaat aber würde Willkür herrschen.“ (misp, APA, TT.com)