Kunst

100. Geburtstag von Joseph Beuys: „Ich bin der Narr, der Idiot mit dem Filzhut“

Joseph Beuys, wie er sich gern sah: Als Mann mit Fischerhemd und Filzhut, hier in Paris 1985. Zu sehen im Wiener Belvedere 21, wo noch bis 13. Juni eine große Beuys-Schau läuft.
© Laurence Sudre/Bridgeman Images

Scharlatan oder Ausnahmekünstler? Die Kunstwelt feiert den 100. Geburtstag von Joseph Beuys. Auch das Wiener Belvedere 21.

Von Edith Schlocker

Innsbruck – Den längst entzauberten Mythos, den Abschuss seines Sturzkampfbombers 1944 über der Krim nur deshalb überlebt zu haben, weil er von tatarischen Nomaden geborgen und in Filz und Fett gewickelt wurde, hat Joseph Beuys bis zu seinem Tod 1986 akribisch gepflegt. Um mit dieser im Reich der Märchen angesiedelten Geschichte seinen Hang zu Filz und Fett als künstlerisches Medium zu erklären. Ein Faible, das die Konservatoren des Werks des am 12. Mai vor 100 Jahren geborenen Künstlers inzwischen gehörig zum Schwitzen bringt. Genauso wie die Frage, ob bzw. wie sehr der ehemalige Hitlerjunge, der sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat, auch in seinem späteren Leben von völkischer Ideologie durchdrungen war.

Der Mann mit Hut und Fischerjacke war auf alle Fälle als Mensch wie als Künstler einer, der provozierte und polarisierte. Nicht zuletzt durch seine problematische Behauptung, jeder Mensch sei ein Künstler. Um sich selbst als „Narr, der Idiot mit dem Filzhut“ zu bezeichnen, der den Leuten klarmachen wolle, dass er eigentlich genauso sei wie sie selber. Wobei aus heutiger Perspektive gesehen sein wichtigster Beitrag zum Kunstdiskurs wohl der war, dass er die Kunst in den sozialen und politischen Raum erweiterte. Um auf diese Weise die Kunst des Elitären zu entzaubern, indem er die Menschen aufforderte, ihre kreativen Potenziale zu entdecken und im Sinn des Gemeinwohls einzusetzen.

Joseph Beuys: Installation „Honigpumpe am Arbeitsplatz“, entstanden zwischen 1974 und 1977.
© Bildrecht, Wien 2021

Die Konsequenz, mit der Beuys seine Botschaften zelebriert hat, stilisierte ihn zum weltweit gefeierten Schamanen, was ihn gleichzeitig zum ökonomisch höchst erfolgreichen Superstar machte. Als Bühne dienten ihm spektakuläre Aktionen. Etwa 1977 bei der Kasseler documenta, wo Beuys Honig über mehrere Stockwerke eines Gebäudes fließen ließ, in dem er während der 100 Tage der Weltkunstschau eifrig diskutierte. Ebenfalls in Kassel ist Beuys’ 1982 gestartetes Projekt „7000 Eichen“ angesiedelt, das er als Statement für „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ verstanden wissen wollte. Um auf diese Weise zu einem Vordenker der damals jungen Ökologiebewegung zu werden.

Als Hommage an diese Intervention wurde anlässlich der Eröffnung der großen Beuys-Schau im Wiener Belvedere 21 in dessen Skulpturengarten eine junge Stieleiche gepflanzt. Die Wiener Schau ist eine von mehr als 30 in aller Welt, mit denen der 100. Geburtstag des wirkmächtigen Ausnahmekünstlers gefeiert wird. Wobei die Schau im Belvedere klar auf dessen vielfältiges Wirken in Wien fokussiert ist.

Das künstlerische Oeuvre von Beuys ist gerade durch seine Vielgesichtigkeit unschubladisierbar. Ist er doch als begnadeter Performer genauso in die Kunstgeschichte eingezogen wie als Schöpfer wunderbar subtiler Zeichnungen, wie sich so mancher vielleicht noch an eine Ausstellung in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais vor vielen Jahren erinnern wird.

Joseph Beuys: „Gib mir Honig“, 1979.
© Pixelstorm/Bildrecht, Wien 2021

So ziemlich jedes Museum für Moderne Kunst der westlichen Welt, das etwas auf sich hält, hat allerdings Installatives aus Fett und Filz im Fundus oder rätselhafte, wie kultisch daherkommende Objekte, deren Entschlüsselung jedem Einzelnen überlassen bleibt. Das kann eine mit rätselhaften Zeichen bekritzelte Schultafel genauso sein wie ein vergoldeter Hase oder ein skelettierter Vogelkopf im Reagenzglas.

Im Steidl-Verlag soll noch heuer eine von Eugen Blume mitherausgegebene Beuys-„Bibel“ erscheinen.

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