Tirol

Innsbrucker Endokrinologin fordert offenen Diskurs über Fehlgeburten

Obwohl in Österreich mindestens jede zehnte Frau davon betroffen ist, sind Fehlgeburten noch immer ein Tabuthema. Um das zu ändern, soll das Thema unter anderem in den Biologieunterricht an Schulen einfließen.

Innsbruck – Anlässlich einer im April im Fachjournal The Lancet erschienenen Themenserie zum Thema Fehlgeburten mahnt die Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Bettina Toth, einen offeneren Diskurs und mehr Forschungsgelder ein. Fehlgeburten seien noch immer ein Tabuthema, so Toth im APA-Interview. Dabei sei in Österreich mindestens jede zehnte Frau davon betroffen.

Laut der dreiteiligen Lancet-Serie beläuft sich die Zahl der weltweiten Fehlgeburten pro Jahr auf 23 Millionen. Das entspreche einer von sieben Schwangerschaften weltweit und rund „44 pro Minute". Vermutlich sei die Zahl der tatsächlichen Fehlgeburten „wesentlich höher", weil nicht jeder Fall gemeldet werde, hieß es in dem Bericht. Die meisten Fehlgeburten passieren in den ersten drei Monaten, erklärte Toth. Danach sinke die Wahrscheinlichkeit deutlich. Zwischen dem dritten und sechsten Monat hätten nur noch ein bis vier Prozent der schwangeren Frauen eine Fehlgeburt. Eine Fehlgeburt bedeutet, dass die Frau ihr ungeborenes Kind im Zeitraum vor der 24. Schwangerschaftswoche verliert.

Zusammenhang mit Angstzuständen und Depressionen

Die 31 an der Studie beteiligten Forscherinnen und Forscher fordern eine bessere medizinische und psychologische Betreuung von Betroffenen und Risikopatientinnen. Denn 20 Prozent aller Betroffenen würden in der Folge einer Fehlgeburt eine posttraumatische Belastungsstörung auftreten, warnten die Forscher. „Der Zusammenhang mit Angstzuständen und Depressionen ist signifikant", bestätigte Toth. Ferner lägen erste Erkenntnisse vor, dass betroffene Frauen später überdurchschnittlich häufig an einer Volkskrankheit wie etwa Diabetes erkranken. An der Universitätsklinik Innsbruck würden sie strukturierte Sprechstunden anbieten und eng mit Psychologen und Psychosomatikern des Hauses zusammenarbeiten. Dennoch ortete sie eine Hemmschwelle, die sich in vielen Fällen auf „Scham und Schuldgefühle" zurückführen ließen.

Dabei hängen Fehlgeburten meist damit zusammen, dass der Embryo sich nicht richtig entwickelt. „Viele Frauen nehmen eine Fehlgeburt jedoch als Versagen des eigenen Körpers wahr und reden nicht gerne darüber", berichtete Toth und forderte, das Thema Schwangerschaft, -vorbereitung und Misslingen einer Schwangerschaft schon im Biologieunterricht in allen Schulformen zum Thema zu machen.

Alter, Rauchen, Unter- oder Übergewicht als Risikofaktoren

„Wir brauchen eine strukturierte Abklärung", betonte Toth. Früher habe man nur 50 Prozent der möglichen Ursachen für eine Fehlgeburt identifizieren können, heute seien mehr solcher Risikofaktoren bekannt. Generell seien Fehlgeburten etwa bei älteren Frauen wahrscheinlicher. Bei Frauen im Alter bis zu 34 Jahren liege, so aktuelle Studien, die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt bei bis zu 15 Prozent, zwischen 35 und 39 Jahren bei etwa 25 Prozent und zwischen 40 und 44 Jahren bei etwa 50 Prozent. Mehrere Studien würden ferner zeigen, dass Rauchen das Risiko für eine Fehlgeburt erhöht. Auch wenn der Mann raucht, steigt das Risiko für eine Fehlgeburt. Alkohol und Koffein sowie Unter- oder Übergewicht können zudem das Risiko für Fehlgeburten erhöhen, informierte die Medizinerin. Außerdem erhöhe auch Nachtarbeit oder „extremer Stress" das Risiko einer Fehlgeburt.

Wenn mehr Frauen offen über ihre Fehlgeburten sprechen, könne das dabei helfen, das Tabu zu brechen, war die Innsbrucker Endokrinologin überzeugt. Dass die britische Herzogin Meghan vor kurzem offen über ihre Erfahrung gesprochen hat, bezeichnete sie als „wichtige Chance, das Thema in einer breiten Öffentlichkeit zu diskutieren, die man ergreifen muss". „Wir müssen den Frauen helfen, aus dem Schamgefühl auszubrechen und sich helfen zu lassen", verlangte Toth. Dann würden sich vielleicht mehr Frauen trauen, mit anderen über ihren Verlust zu sprechen und bekämen so die nötige Unterstützung durch das Umfeld. „Mein Appell richtet sich hier auch an die Politik", unterstrich sie. Hierzulande sei es im internationalen Vergleich schwierig, Forschungsgelder zu lukrieren. (APA)

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