Van der Bellen mahnt ÖVP indirekt: „Nehmen Sie die Institutionen ernst!"
In einer Ansprache mahnte Bundespräsident Alexander van der Bellen die ÖVP um Kanzler Sebastian Kurz indirekt zur Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und Anstand. Ohne Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) konkret zu nennen, sagte er: „Einen Auftrag des VfGH erst zu befolgen, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, ist entbehrlich."
Wien – In der aufgeheizten Stimmung zwischen Regierungsparteien und Opposition rund um den Ibiza-U-Ausschuss meldet sich nun Bundespräsident Alexander van der Bellen zu Wort: In einer auf Facebook ausgestrahlten Videobotschaft fordert Van der Bellen die Bevölkerung und insbesondere die Politikerinnen und Politiker auf, die Institutionen der Republik „ernst zu nehmen“. „Zollen Sie ihnen Respekt“, verlangte das Staatsoberhaupt. Indirekt übte der Bundespräsident Kritik an der ÖVP.
„Die Arbeit der Institutionen unseres Rechtsstaates muss ungestört und in Ruhe verrichtet werden können. Wir müssen diese Institutionen ernst nehmen. Sie sind sozusagen das Immunsystem unseres Staates und wir dürfen nicht dulden, dass dieses geschwächt wird“, betonte Van der Bellen.
📽 Video | Ansprache von Bundespräsident Alexander van der Bellen
Ohne die ÖVP zu benennen, sagte der Bundespräsident: „Zu versuchen, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss lächerlich zu machen, ist entbehrlich. Das ist bloße Polemik und trägt nichts zur Klärung eines Sachverhaltes bei.“ Und ohne Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) konkret zu nennen, meinte Van der Bellen: „Einen Auftrag des Verfassungsgerichtshofes erst zu befolgen, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, ist entbehrlich. Jeder Versuch, die Arbeit des Untersuchungsausschusses künstlich zu erschweren, ist entbehrlich. Denn es würde zeigen, dass man diese Institutionen nicht ernst nimmt.“ Blümel ließ zuletzt bestimmte Akten an den U-Ausschuss erst ans Parlament liefern, nachdem das Höchstgericht mit Exekution gedroht hatte.
Mahnung auch für Abgeordnete im U-Ausschuss
Eine Mahnung hatte das Staatsoberhaupt aber auch für die Abgeordneten im U-Ausschuss parat: „Andererseits, auch jene, die im Untersuchungsausschuss ihr Fragerecht wahrnehmen, müssen ihre Funktion im Umgang mit dem Gegenüber und auch im Tonfall respektvoll wahrnehmen.“
📽 Video | Politologe Filzmaier analysiert Rede des Bundespräsidenten
Van der Bellen erinnerte daran, dass sich alle an die Gesetze zu halten haben, auch Politikerinnen und Politiker. „Aber: Genauso gilt auch die Unschuldsvermutung für uns alle. Auch für Politikerinnen und Politiker. Ein Mensch, der nicht verurteilt ist, hat als unschuldig zu gelten. Das ist ein fundamentales Menschenrecht, das auch ausdrücklich in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist. Und auch das haben wir alle ernst zu nehmen.“ Damit nahm der Bundespräsident unter anderem Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Schutz, der im Zuge von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Falschaussage im U-Ausschuss mit Rücktrittsaufforderungen aus der Opposition konfrontiert ist.
„Abrüstung der Worte“
Gleichzeitig mahnte der Bundespräsident auch „den politischen Anstand“ ein. Auch wenn das „ein wenig moralisierend“ klinge, so möchte er doch, „dass alle Verantwortlichen auf Seiten der Regierung und auf Seiten der Opposition hier ihr eigenes Gewissen erforschen“. Und weiter: „Niemand wird Sie verhaften, wenn Sie beim Essen die Füße auf den Tisch legen. Aber tun Sie es lieber nicht. Ich jedenfalls wünsche mir mehr Respekt und Höflichkeit im Umgang miteinander. Auch deswegen, weil wir vor großen Aufgaben stehen. Um diese zu meistern, braucht es Dialog- und Gesprächsfähigkeit von allen Seiten und zuvor eine Abrüstung der Worte.“
Die Bevölkerung lud Van der Bellen ein, gemeinsam mit ihm nach all der Aufregung und dem politischen Streit der letzten Wochen gemeinsam „tief durchzuatmen und Abstand zu gewinnen“. (TT.com, APA)
Die Rede von Bundespräsident Van der Bellen im Wortlaut:
Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle Menschen, die hier leben.
Wenn die Stimmung aufgewühlt ist und Emotionen im Spiel sind, ist es meistens richtig, tief durchzuatmen und Abstand zu gewinnen. Ich möchte Sie einladen, das nach all der Aufregung und dem politischen Streit der letzten Wochen gemeinsam mit mir zu versuchen.
Also: wir leben, - Gott sei Dank - in einer rechtsstaatlichen, liberalen Demokratie, die von einer starken Verfassung geschützt ist. Was bedeutet das? Das bedeutet unter anderem, dass wir Gesetze haben, die, wenn man sie ernst nimmt, garantieren, dass wir alle friedlich und respektvoll zusammenleben können. Und die, wenn man sie nicht ernst nimmt, verteidigt und durchgesetzt werden müssen.
Darüber wachen, entsprechend unserer Gewaltenteilung, verschiedene wichtige Institutionen unserer Republik: Erstens: Das Parlament, das Gesetze zu beschließen und die Regierung zu kontrollieren hat. Unter anderem mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Zweitens: Die Regierung, die Gesetzesentwürfe vorzubereiten und für die korrekte Vollziehung der Gesetze zu sorgen hat. Drittens: Die Justiz. Unabhängige Gerichte entscheiden über Schuld und Unschuld. Und schließlich viertens: Unabhängige Medien informieren uns mit Berichten, Recherchen, Kommentaren.
Die Arbeit der Institutionen unseres Rechtsstaates muss ungestört und in Ruhe verrichtet werden können. Wir müssen diese Institutionen ernst nehmen. Sie sind sozusagen das Immunsystem unseres Staates und wir dürfen nicht dulden, dass dieses geschwächt wird.
Ich gebe Ihnen einige Beispiele: Zu versuchen, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss lächerlich zu machen, ist entbehrlich. Das ist bloße Polemik und trägt nichts zur Klärung eines Sachverhaltes bei. Andererseits, auch jene, die im Untersuchungsausschuss ihr Fragerecht wahrnehmen, müssen ihre Funktion im Umgang mit dem Gegenüber und auch im Tonfall respektvoll wahrnehmen.
Für die Befragten gilt: Einen Auftrag des Verfassungsgerichtshofes erst zu befolgen, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, ist entbehrlich. Jeder Versuch, die Arbeit des Untersuchungsausschusses künstlich zu erschweren, ist entbehrlich. Denn es würde zeigen, dass man diese Institutionen nicht ernst nimmt.
Meine Damen und Herren, besonders die Politikerinnen und Politiker: ich fordere Sie alle dazu auf, die Institutionen ernst zu nehmen. Zollen Sie ihnen Respekt.
Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle Menschen, die hier leben:
Wir alle haben uns an die Gesetze zu halten. Wir alle sind vor diesen Gesetzen gleich. Auch Politikerinnern und Politiker. Aber: Genauso gilt auch die Unschuldsvermutung für uns alle. Auch für Politikerinnen und Politiker. Ein Mensch, der nicht verurteilt ist, hat als unschuldig zu gelten. Das ist ein fundamentales Menschenrecht, das auch ausdrücklich in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist. Und auch das haben wir alle ernst zu nehmen.
Meine Damen und Herren, neben den nackten Paragrafen von Gesetzen gibt es noch den politischen Anstand. Anstand ist eine Kombination aus moralischer Überzeugung und ordentlichen Umgangsformen, der wir freiwillig nachkommen sollten.
Ich weiß schon, wenn man von „ordentlichen Umgangsformen“ oder „Anstand“ spricht, klingt das ein wenig moralisierend, aber ich möchte einfach, dass alle Verantwortlichen auf Seiten der Regierung und auf Seiten der Opposition hier ihr eigenes Gewissen erforschen.
Niemand wird Sie verhaften, wenn Sie beim Essen die Füße auf den Tisch legen. Aber tun Sie es lieber nicht. Ich jedenfalls wünsche mir mehr Respekt und Höflichkeit im Umgang miteinander. Auch deswegen, weil wir vor großen Aufgaben stehen. Um diese zu meistern, braucht es Dialog- und Gesprächsfähigkeit von allen Seiten und zuvor eine Abrüstung der Worte.
Meine Aufgabe als Bundespräsident ist es, das Gesamtwohl des Staates im Blick zu behalten. Mich um den Zusammenhalt, um das Gemeinsame, das Verbindende in unserer Heimat zu kümmern. Auf Vernunft und Bedachtsamkeit zu setzen, und dabei ein wachsames Auge auf die Grundfesten unserer Republik zu haben: die Verfassung und die staatlichen Institutionen.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre wertvolle Zeit.
Und ich wünsche Ihnen und uns allen jetzt für das kommende Wochenende freudvolle, schöne Tage. Wir stehen hoffentlich vor dem beginnenden Ende der Pandemie und sollten uns auch immer wieder bewusstmachen, was wir - wir alle gemeinsam! - in den vergangenen Monaten geschafft haben.
Guten Abend.