Zwei Tiroler beim Song Contest in Rotterdam: „Man wird schon ein bissi komisch angeschaut"
Seit Jahren reisen Robert und Patrick Wild mit dem Song Contest quer durch Europa. Auch bei der Corona-Ausgabe in Rotterdam sind die Tiroler dabei – eine gänzlich neue Erfahrung für die beiden. Beim heutigen Finale wird es an der Spitze spannend wie lange nicht mehr. Die Favoriten könnten unterschiedlicher nicht sein. Selbst die Wettanbieter sind sich uneins.
Von Tamara Stocker
Innsbruck – Von den äußeren Bedingungen her steht der diesjährige Eurovision Song Contest (ESC) in Rotterdam ganz sicher unter keinem guten Stern. Die Corona-Pandemie macht aus dem Volksfest, das der Gesangswettbewerb normalerweise ist, eine Olympiade in Abstandhalten, Selbstquarantäne und Dauertesten. Mittendrin sind die beiden Tiroler Robert und Patrick Wild. Seit Jahren reisen die beiden eingefleischten Song-Contest-Fans von Siegerland zu Siegerland, um dem Spektakel live beizuwohnen. Möglich macht das die Mitgliedschaft im ESC-Fanclub von Österreich. „Dieses war wurde relativ knapp entschieden, dass überhaupt jemand dabei sein darf", erzählt Robert im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung Online. Einen öffentlichen Ticketverkauf habe es nicht gegeben. Der Ansturm auf die Fanclub-Tickets sei in diesem Jahr aber nicht so groß gewesen, was wohl auch an den (Reise-)Strapazen liegen dürfte, die die Pandemie nun mal mit sich bringt.
🔴 Der ESC im Live-Ticker auf TT.com
Nicht verpassen: Das heutige Finale begleitet TT.com wie jedes Jahr im Live-Ticker! TT-Redakteurin Tamara Stocker kommentiert den musikalischen Trash-Stadl ab 21 Uhr gewohnt ungeniert aus der Ferne.
3500 Zuschauer dürfen bei den Shows in der Ahoy Arena mit dabei sein. Es brauche allein vier verschiedene Apps, um überhaupt in die Halle reinzukommen, erklärt Robert das Prozedere vor Ort: „Eine für das Ticket, eine zum Ausmachen für den Corona-Test, eine dritte für das Testergebnis und zuletzt noch eine Tracking-App, die aufzeichnet, wo man sich in der Halle bewegst." Das Paar, das mit dem Auto nach Rotterdam gefahren ist, nimmt all das aber in Kauf. „Ich bin einfach froh, dass ich dabei sein darf", sagt Robert. Auch wenn die Stimmung natürlich ganz anders sei als sonst. „Die europäischen Fans fehlen sehr, es sind fast nur Holländer in der Halle. Man wird sogar ein bissi komisch angeschaut, wenn man einen Fan-Pulli anhat. Aber sobald es in der Halle losgeht, vergisst man den Rest und es fühlt sich an wie immer."
Recht nachlässige Stadt mit hohen Inzidenzen
Zwischen den Plätzen wird kein Sitz freigelassen und auch die Masken dürfen runter. Das alles soll der Wissenschaft zu gute kommen – denn der ESC gilt als Feldversuch, um herauszufinden, wie Großevents in Pandemie-Zeiten aussehen können. Doch so streng die Regeln und so hart die Hygienemaßnahmen rund um die Arena sind, so nachlässig seien die Niederländer sonst am Weg. „Was schon auffällt ist, dass sie hier in Sachen Corona nicht so gründlich sind wie wir in Österreich. Zum Beispiel werden in den Öffis Masken kaum getragen und wenn, nicht über der Nase. FFP2-Masken gibt es ohnehin nicht." Aktuell gilt die Region Rotterdam mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von jenseits der 250 als Risikogebiet.
Den strengen Covid-19-Protokollen zum Trotz blieb auch der isländischen Beitrag nicht verschont: Die hochfavorisierte Nerd-Truppe Daði og Gagnamagnið darf nicht live auftreten, weil einer von ihnen positiv getestet wurde. Und auch der amtierende Titelträger Duncan Laurence muss der Bühne aufgrund eine Corona-Infektion fern bleiben und darf die Siegestrophäe nicht an seinen Nachfolger übergeben.
Dieser wird heute aus 26 Acts im großen ESC-Finale ermittelt – ab 21 Uhr in der Ahoy Arena vor rund 3500 Fans und bis zu 200 Millionen vor den TV-Bildschirmen. Und eines darf getrost gesagt werden: Lange war es bei dem Gerangel um Platz eins nicht mehr so spannend. Nicht außer Acht lassen darf man wie immer die Prognosen der internationalen Glücksspielmacher als Auguren des ESC. Diese sehen aktuell ein Duell zwischen Italien und Frankreich an der Spitze. Beim Vergleich von 21 Anbietern liegt wenige Stunden vor Beginn der Megashow die italienische Rockband Måneskin mit „Zitti e Buoni" knapp auf Platz 1 des Feldes vor der Französin Barbara Pravi mit ihrem Chanson „Voilà". Unterschiedlicher geht eigentlich kaum.
📽️ Video | So klingt der italienische Beitrag:
📽️ Video | So klingt der französische Beitrag:
Große Auswahl in den vorderen Rängen
Die Wettquoten haben sich im kompetitiven Kulturbereich mittlerweile zum beliebten Prognoseinstrument für Kommentatoren und Analytiker entwickelt. Vom Literaturnobelpreis über die Oscars bis zum Eurovision Song Contest dient die Meinung derer, die Geld auf ihre Favoriten setzen, als oftmals verlässliche Vorhersage. Nicht immer, aber oft. In den letzten Jahren lagen die Buchmacher mit ihrem Sieger-Tipp jedenfalls immer goldrichtig.
Den beiden romanischen Ländern dicht auf den Fersen sind indes Destiny aus Malta mit ihrer Tanznummer „Je Me Chasse" sowie die ukrainische Band Go_A mit ihrer waghalsigen Up-Tempo-Nummer „Shum" sowie Falsettkönig Gjon's Tears aus der Schweiz mit der Ballade „Tout l'Univers". Aber auch die Isländer haben noch ein Wörtchen mitzureden – was insofern spannend ist, da es erstmals einen Sieger geben könnte, der nicht live auftritt; stattdessen wird wie bereits im 2. Halbfinale ein Videoclip aus der Probe gezeigt. Die große Frage ist mithin, ob sich ESC-Europa heuer eher für Rock, Chanson, Partypop, Ethnorave, Indie-Electropop oder eine Schmachtballade entscheidet. Die Auswahl ist vorhanden.
Deutschland und Spanien Erster von hinten
Ebenso wie heuer das Match um Platz 1 ungewöhnlich heftig ausfällt und sich anders als in den Vorjahr ein Sieger im Vorfeld noch nicht abzeichnet, ist auch der „Kampf" um den letzten Platz groß. Österreich ist nach dem Ausscheiden von Vincent Bueno mit seiner Ballade „Amen" im Halbfinale am Donnerstag ja nicht in der Endrunde des Musikbewerbs vertreten – anders als etwa die Großzahler Deutschland und Spanien. Ob ihnen das gut tun wird, steht allerdings noch infrage: Die beiden Nationen matchen sich laut den Wettbüros mit Moldau, Albanien und Belgien mit gleichen Chancen um die Rote Laterne.
Dabei bleibt selbstredend die Frage offen, wie zuverlässig respektive für bare Münze man die Prognosen der internationalen Zocker nehmen darf. Aber der Blick auf die vergangenen Tage zeigt durchaus: Ignorieren sollte man die wohl auch sich selbst erfüllenden Prophezeiungen der Glücksspieler nicht. Im 2. Halbfinale lagen die Zocker etwa nur bei einem Land falsch und hatte Dänemark anstatt Albanien auf der Aufstiegsliste. Außeracht lassen sollte man die Meinung derer, die bereit sind, Geld auf einen Kandidaten zu setzen, also nicht. Und damit lautet das Rennen für den Abend: Alles ist offen.