80. Geburtstag

Bob Dylan wird 80: Die Irritation bleibt einmal mehr Programm

„I Contain Multitudes“ („in mir steckt eine Vielzahl“). So heißt einer von Bob Dylans jüngsten Songs. Er bietet sich als Deutungsansatz für Dylans mittlerweile 60-jährige Karriere an – und führt doch, wie es sich gehört, immer wieder aufs Glatteis.
© imago (3), netflix

Als Protestsänger, Gelegenheits-Prophet, Prediger und Poet gibt Bob Dylan seit Jahrzehnten Rätsel auf: Am Montag wird der Nobelpreisträger 80.

Von Joachim Leitner

Innsbruck – „Ich ist ein anderer“, hat der französische Dichter Arthur Rimbaud proklamiert. Glaubt man „Chronicles“, dem ersten, 2004 erschienenen Band von Bob Dylans Autobiografie, ist Rimbaud einer seiner Hausheiligen. Dort jedenfalls wird der Satz wörtlich zitiert. Durch Dylans Lyrics, seine 2016 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Liedtexte, geistert die Zeile in verschiedenen Stadien der Verfremdung. Nach dem Motto: Wer in Dylans Texten nach dem „Ich“ sucht, findet immer einen anderen.

Bob Dylan im Jahr 1965.
© imago

Apropos: Verfremdung. Auch Dylans Bewunderung für Bertolt Brecht ist vielfach verbürgt. Und auch bei Brecht finden sich Sätze, die sich aufdrängen, wenn von Dylan die Rede sein soll: „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.“ Das Spiel mit verschiedenen Rollen in immer neuen Maskeraden begann früh. Ende der 1950er-Jahre hat Robert Allen Zimmerman, geboren als erstes Kind einer jüdischen Mittelstandsfamilie in Duluth, Minnesota („in the north country fair“, wie es im Song „Girl from the North Country“ heißt), Bob Dylan erfunden. Seit 1962 trägt er den Namen offiziell. Und versteckt sich immer wieder hinter anderen. Als Produzent der eigenen Platten etwa firmiert er bisweilen als „Jack Frost“.

Als „Lucky Wilbury“ war er Mitglied der Endachtziger Supergroup Traveling Wilburys. Für das zweite (und letzte) Album der Band, das – Irritation bleibt Programm – mit „Vol. 3“ überschrieben ist, nannte er sich „Boo“. Wohl eine Anspielung auf die Buh-Rufe, die Dylans legendären Auftritt beim Newport Folkfestival 1965 begleiteten, als er erstmals vor großem Publikum zur E-Gitarre griff. Und seine Begleitband dazu anhielt, „Like A Rolling Stone“ „fucking loud“ zu spielen.

📽️ Video | The Traveling Wilburys - Handle With Care (Official Video)

2004 wurde „Like A Rolling Stone“ zum „besten Song aller Zeiten“ gewählt. Vierzig Jahre davor wurde sein Schöpfer „Judas“ geschimpft , weil er die Ideale engagierter Klampfenmusik elektrifiziert und verraten haben soll. Dabei hätten es die, die besonders laut brüllten, besser wissen können: „The Times They Are a-Changing“, die Zeiten ändern sich. Das hatte Dylan schon 1964 prophezeit. Und manche Dinge müssen sich ändern, um die gleichen bleiben zu können. Der Protestsänger in der Tradition von Woody Guthrie jedenfalls wurde zum Rockstar – und blieb Bob Dylan, alias „Alias“.

So nannte sich 1973 auch der von Dylan dargestellte Mitstreiter des tragischen Helden in Sam Peckinpahs Western „Pat Garrett jagt Billy The Kid“. Da konnte Dylan sein eigenes Image als unzuverlässiger Gewährsmann bereits parodieren.

📽️ Video | Like A Rolling Stone (Live at Newport 1965)

TT-ePaper 4 Wochen gratis lesen

Die Zeitung jederzeit digital abrufen, ohne automatische Verlängerung

Und auf das pfeifen, was manch anderer dachte oder forderte. Die Enttäuschung darüber etwa, dass er, in dem viele „die Stimme einer Generation“ zu hören glaubten, dem legendenumrankten Wochenende von Woodstock fernblieb, obwohl er ganz in der Nähe wohnte, haben im einige nicht verziehen. Als Jimmy Hendrix auf der Bühne von Bethel „The Star-Spangled Banner“ zerlegte, studierte Dylan fünf Häuser weiter den Amerikanischen Bürgerkrieg – und spielte in seinem Keller mit den Urformen amerikanischer Musik. Aus Letzterem wurden „The Basement Tapes“, deren Neu- und Wiederveröffentlichung ihn bis heute umtreibt.

In seinen Stil- und Lebensbrüchen hat Bob Dylan immer wieder überrascht. Und verstört. Als „erweckter“ Christ predigte er um 1980 auf offener Bühne. Davor tingelte er als Zirkusdirektor der „Rolling Thunder Revue“ (1975) übers Land, hatte mit Häftlingen den Blues, saß mit Allen Ginsberg (der ihn 1994 erstmals für den Literaturnobelpreis vorschlug) auf Friedhöfen – und sang mit Johnny Cash, der für die amerikanische Gegenkultur vieles war, aber kein Sympathieträger.

📽️ Video | The Times They Are A-Changin' (Audio)

Bob Dylan war knarzender Barde und kauziger Rocker, er gab den Landstreicher und spielte den Dandy. Den Corona-Lockdown, der seine „Never Ending Tour“ erstmals seit 1989 ausbremste, verbrachte er auf seinem Anwesen in Malibu. Die Rechte an seinem Song-Katalog hat er kürzlich für mehrere hundert Millionen Dollar verkauft. Der Hüter der amerikanischen Songtradition – als der er den Nobelpreis bekam – ist er geblieben. Und der lustvolle und manchmal lustige Zerstörer seines eigenen Werks. Er zerlegt seine Lieder auf offener Bühne – und schraubt sie neu zusammen. Ganz so, als gelte es, ihre Unverwüstlichkeit zu beweisen.

Bob Dylan, der sich auch schon als Maler versucht hat – und als Filmemacher mit „Renaldo und Clara“ grandios gescheitert ist, ist der wohl populärste Dichter der Gegenwart. Im Vorjahr veröffentliche er mit „Rough and Rowdy Ways“ ein herrlich zerbeultes, neues Album. Sein neununddreißigstes. Einmal mehr: eines seiner besten.

Am Pfingstmontag wird Bob Dylan 80 Jahre alt.

📽️ Video | I Contain Multitudes

Wenn er spricht, hat er was zu sagen

Bob Dylan steht im Ruf, ein einigermaßen schwieriger Gesprächspartner zu sein. Wenn er aber spricht, hat er auch etwas zu sagen. In mehr als sechs Jahrzehnten haben sich einige tausend Seiten Interviewabschriften angesammelt. Heinrich Detering, als Literaturwissenschaftler, Theologe und Dichter zum Ausnahme-Dylanologen nachgerade prädestiniert, hat für „Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist“ eine exemplarische Auswahl zusammengestellt – und klug kommentiert.

Das erste Interview stammt von 1962, das letzte erschien 2020 in der New York Times. Es geht um Liebe und Glauben, Politik und Musik, Shakespeare, Sinatra und den Mord an George Floyd. (jole)

Buchtipp: Interviews Heinrich Detering (Hg.): Bob Dylan – Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist. Kampa, 351 Seiten, 24,70 Euro.

Verwandte Themen