„Macbeth“ in der Wiener Staatsoper: Power-Couple hübsch hässlich
Die Wiener Staatsoper versucht zum Saisonende Verdis „Macbeth“ ganz nahe zu kommen. Anna Netrebko und Luca Salsi helfen mit, die Regie bleibt dunkel.
Von Stefan Musil
Wien – Belcanto, Schöngesang, ist abgesagt. Das wahre, ungeschminkte Musikdrama hat Giuseppe Verdi in seiner Shakespeare-Oper „Macbeth“ gesucht. „Die Tadolini hat eine wunderschöne Figur, ich aber will, dass die Lady hässlich ist“, meinte er zur Sängerin der Erstaufführung in Neapel. Kurz, er wünschte sich keine „herrliche, klare, kraftvolle“ Stimme, sondern „eine Lady mit rauer, erstickter, hohler Stimme“. Das Duett zwischen Macbeth und seiner Lady und ihre Nachtwandler-Szene wünschte er sich „nicht gesungen“, sondern deklamiert, „sonst ergibt sich überhaupt keine Wirkung“. Vorgaben, die sich mit Anna Netrebko auf den ersten Blick wohl nur bedingt umsetzen lassen. Sie war das absolute Zugpferd der letzten Opern-Premiere der Saison. Die Diva unserer Tage als hässliche Lady? Aber sie enttäuscht nicht: Ein wenig angeraut, mit der einen oder anderen brüchigen Höhe, manch hakenden Läufen, durchaus fragilen Tiefen bedient sie diesmal nur bedingt das Klischee vom strahlend kraftvollen Supersopran – und findet sich blendend in Barrie Koskys nachtschwarze Zürcher Inszenierung von 2016 ein, die von Silvie Döring für Wien einstudiert wurde.
Vier Bögen aus Lichtern markieren im völligen Schwarz der Bühne einen stark nach hinten fliehenden Raum. Die Handlung wird zum Hirngespinst von Macbeth. Einem General des Königs, den er später morden wird, um selbst den Thron zu besteigen, der soeben aus dem Krieg kommt. Ganz offensichtlich mit einer ausgewachsenen „Posttraumatischen Belastungsstörung“. Der Rest ist Depression, Albtraum und Trauma. Luca Salsi füllt diese Figur perfekt in Verdis Sinn zwischen eindrücklicher Deklamation und kraftvollen Baritontönen mit Wahn und Leben aus. Die Hexen lässt Kosky als nackte Zwitter um Macbeth herumtanzen und ihm in seiner Arie die Finger wie wachelnde Anemonen vors Gesicht strecken. Ihre Weissagungen liest diesmal nicht die Lady aus dem Brief, sondern Macbeths innere Stimme vor. Der Chor singt prächtig, aber unsichtbar und eher gedämpft von der Seite. Er tritt nur auf, wenn es nicht anders geht. Alles in allem ein geschickter Schachzug von Kosky, um sich aller regietechnischer Probleme, wie diverser Chor- und Ensembleauftritte, zu entledigen. Ein hochaufregendes Kammerspiel könnte daraus werden. Doch hier hakt es, denn viel mehr als gängige Operngesten und am Sessel sitzen fällt dem Vielbeschäftigten, der offenbar auch keine Zeit mehr hatte, sich am Ende der Publikumsmeinung zu stellen, nicht ein. Man darf gespannt sein, wie viel Mühe er als Regisseur des künftigen Wiener Mozart-Da Ponte-Zyklus aufwenden wird.
Wie man „Macbeth“ ganz ernst nimmt, zeigt Philippe Jordan am Pult des ebenfalls nicht nur dem Schönklang huldigenden Staatsopernorchesters: feinst auf den Punkt dirigierter Verdi, elastisch, keine Sekunde Umtata, dynamisch drall auffahrend, wenn es muss. Allein das Vorspiel zur Nachtwandler-Szene eine Demonstration an subtilen Farben, filigran gruseligen Stimmungen, bis dato ungehörten Details. Dazu sind alle Nebenrollen bestens besetzt, erhält Tenor Freddie De Tommaso als Macduff für seine Arie den größten Applaus. Wenn sich jetzt noch das Bühnengeschehen mit dem Orchestergraben dramatisch verzahnt, könnte es spannend werden.