Bangen um Kleinkind nach Unfall in Imst: Wie konnte das passieren?
Ein Kleinkind und seine Mutter wurden Donnerstagabend durch eine Schleuse am Pigerbach gesogen. Beherzte Passanten und Rettungskräfte schritten ein. Der Zustand des Anderthalbjährigen bleibt kritisch.
Von Alexander Paschinger
Imst, Karrösten – Am Tag danach sind immer wieder Fußgänger und Radfahrer in der Fabrikstraße unterwegs. Alle haben davon gehört oder gelesen, was sich hier am Abend zuvor abgespielt hat. Man blickt bang auf die Wehranlage, den tosenden und Hochwasser führenden Pigerbach, deutet auf die gut 20 Meter lange Uferböschung, an der der Zaun unterbrochen ist. „Fürchterlich“, „schlimm“, „wie kann das passieren“, fragen sich die Leute.
Es waren höchst dramatische Szenen, die sich am Donnerstagabend gegen 20.35 Uhr am Pigerbach bei Imst abgespielt haben: Ein Kinderwagen mit einem 14 Monate alten Kind rollte kurz vor der Wehranlage in den Bach, die Mutter sprang nach. Beide wurden durch die Schleuse gesogen und Hunderte Meter weiter flussabwärts von einem 51-jährigen Mann aus dem Wasser gezogen. Das Kleinkind musste reanimiert werden und wurde mit dem Hubschrauber in die Klinik nach Innsbruck gebracht. Dort befindet es sich in kritischem Zustand auf der Intensivstation, wie Johannes Schwamberger von den Tirol Kliniken mitteilt. Auch die völlig entkräftete Mutter wurde in die Klinik gebracht.
Eines ist sicher – die Rettungskette hat funktioniert: von der Alarmierung durch einen 54-jährigen Passanten über die Rettung, Polizei und Feuerwehr bis zum Hubschrauber und dem Kriseninterventionsteam.
Genauer Unfallhergang weiter unklar
Gesichert ist, die 39-jährige Frau war mit dem 14-monatigen Sohn und dessen zweijährigem Bruder, der nebenher ging, sowie zwei Hunden entlang der Fabrikstraße spazieren. „In einem unbemerkten Moment aus bisher unbekannter Ursache“ rollte der Kinderwagen kurz vor der Wehranlage des Kraftwerks Imst I über die Böschung in den Bach, heißt es im Polizeibericht. „Noch wissen wir nicht genau, wie das alles passieren konnte“, sagt der Imster Bezirkspolizeikommandant Hubert Juen. „Der Schlüssel ist die Mutter. Aber wir konnten sie noch nicht befragen.“
Zu diesem Zeitpunkt radelte ein 51-jähriger Bosnier mit seiner Frau den Weg entlang. Die Mutter übertrug der Frau sofort den zweijährigen Sohn und die Hunde und sprang ins Wasser nach.
„Wir haben derzeit neun bis zehn Kubikmeter pro Sekunde an Wasserführung“, erklärt der Betriebsleiter des Wasserkraftwerks. Am Wehr wird durch einen Rechen ein Teil des Wassers in einen Kanal abgeleitet. Zwischen Rechen und dem Stauwerk gibt es eine „dynamische Schleuse“. Diese ist unter Wasser gut 30 Zentimeter geöffnet und hier strömt das Restwasser wie durch eine Düse – auch das Geschiebe wird so weitertransportiert.
In diesem Bereich versuchte die Frau, ihren kleinen Sohn aus dem Wasser zu ziehen. Doch unter so viel Wasserdruck zerbrach der Kinderwagen, in den der Bub geschnallt war. In weiterer Folge wurden Mutter und Kind durch die Öffnung gepresst, ins Bachbett weitergespült und etwa 385 Meter weiter flußabwärts getrieben.
51-Jähriger zog Bub aus dem Wasser
Der 51-jährige Bosnier lief den beiden entlang der Straße nach. Mittlerweile hatte ein 54-jähriger Passant die Rettungskräfte alarmiert. „Ich war in der Gegend gerade mit einem Feuerwehrmann im Auto unterwegs, als er die Alarmierung über den Pager bekam“, erklärt Stadtpolizist Christian Zangerle. Überhaupt waren viele Feuerwehrmänner noch greifbar, weil es gerade zuvor einen anderen Einsatz gegeben hatte. Dementsprechend schnell fanden sich die Rettungskräfte im Bereich der früheren Schindler-Textilfabrik ein. Dort konnten der Bosnier und Christian Zangerle das bereits leblose Kind aus dem Wasser ziehen. Auch die Mutter wurde völlig erschöpft aus dem Wasser geborgen und erstversorgt. Der 51-Jährige gibt sich bescheiden, er habe nur getan, was jeder tun müsse, um zu helfen, meint er gegenüber Juen.
„Zum Glück konnte der Bub vor Ort reanimiert werden“, schildert der Kommandant der Stadtfeuerwehr, Roland Thurner, die höchst dramatischen Szenen. Eine Zeitlang war auch der Verbleib des Zweijährigen unklar, weshalb das Gewässer noch intensiv abgesucht werden musste.
Bub in kritischem Zustand
In Imst hofft man nun das Beste für den kleinen Buben, der sich nach wie vor in einem kritischen Zustand befindet. Wie lange er unter Wasser war, das kann derzeit niemand richtig sagen. „Wir suchen noch nach Zeugen“, so Polizeikommandant Juen.
Der Einsatz sorgte in der Bezirkshauptstadt jedenfalls für großes Aufsehen. Im Einsatz standen die Stadtfeuerwehr mit 70 Mann und acht Fahrzeugen, das Rote Kreuz mit sieben Einsatzkräften und drei Fahrzeugen, die Besatzung des Notarzthubschraubers, Stadtpolizei, zwei Polizeistreifen und ein Polizeidiensthundeführer.