Botschafter über Putin und Biden: „Beide suchen Weg der Annäherung“
Russlands Botschafter in Österreich über das Gipfeltreffen von Putin mit Biden in Genf und Russlands ramponierte Beziehungen zu Europa.
Wien – Botschafter Ljubinskij sieht nach dem Gipfeltreffen in Genf Anzeichen der Annäherung zwischen Russland und den USA. Interne Angelegenheiten Russlands sollen freilich tabu bleiben.
Welche Bilanz ziehen Sie nach dem Gipfeltreffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit US-Präsident Joe Biden vergangenen Mittwoch in Genf? War das Treffen der Beginn einer vorsichtigen Annäherung oder eine Begegnung ohne jegliche Ergebnisse?
Dmitrij Ljubinskij: Es war ein konstruktives Treffen, getragen von gegenseitiger Achtung. Es stimmt, dass im Vorfeld die Erwartungen an den Gipfel nicht sehr groß waren. Ich würde wie Präsident Putin eine vorsichtig positive Bilanz ziehen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn man direkt und offen miteinander reden kann. Man kann kein sofortiges Entgegenkommen erwarten, aber beide Seiten suchen den Weg der Annäherung. In den Beziehungen zwischen Russland und den USA haben sich viele Probleme angehäuft. Nun geht es darum, welche Anknüpfungspunkte wir in verschiedensten Themenbereichen von der strategischen Stabilität über die Cybersicherheit bis hin zur Klimapolitik und der Zusammenarbeit in der Arktis finden können. Wir hoffen auf einen Neuanfang auf dem langen Weg zu einer Normalisierung der Beziehungen. Von russischer Seite ist der Wille zur Zusammenarbeit jedenfalls da. Vieles wird nun von konkreten Schritten auch seitens der USA abhängen. Russland und die USA tragen als größte Atommächte eine besondere Verantwortung. In Sachen strategische Stabilität wurde die Option eines Atomkrieges klar abgelehnt. Und es werden in Kürze neue Abrüstungsgespräche zwischen beiden Seiten starten.
Was sind denn die größten Knackpunkte?
Ljubinskij: Man kann von Knackpunkten, den viel zitierten „roten Linien“ oder auch von den bereits erwähnten Anknüpfungspunkten reden. Eines kann ich aber mit aller Klarheit sagen: Wir dulden keine Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten. Hier wird aufgebauscht, hier werden kollektive Werte vorgeschoben. Die Verhängung immer neuer Sanktionen gegen Russland lässt die Gräben immer tiefer werden.
Hinsichtlich des Ukraine-Konflikts scheint eine friedliche Lösung weiter entfernt denn je.
Ljubinskij: Es kann nur eine Lösung geben und die ist im Minsker Abkommen festgeschrieben. Darin waren sich Russlands Präsident Putin und US-Präsident Biden beim Gipfel in Genf einig. Dieses liegt nun schon rund sechs Jahre lang auf dem Tisch. Kiew hat das Abkommen zwar unterzeichnet, umsetzen will es die Vereinbarungen aber nicht.
Kommen wir zu den Beziehungen Russlands zu Europa. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat jüngst von einer Abwärtsspirale, einer weiteren Verschlechterung der Beziehung als wahrscheinlichstem Szenario gesprochen. Sind die Aussichten derart schlecht?
Ljubinskij: Diese Aussagen Borrells tragen nun wirklich nicht zum Abbau der Spannungen bei. Diese Worte spiegeln alte Vorurteile wider, die mit dem heutigen Russland nichts zu tun haben. Wir treten für einen gleichberechtigten und respektvollen Dialog ein. Und es gäbe viele Felder für eine Zusammenarbeit beider Seiten, etwa im Gesundheitswesen, in Sachen Klimawandel, bei der Digitalisierung oder im Bildungswesen. Bisher blieben unsere Angebote zu einer Zusammenarbeit seitens der EU unbeantwortet. Das ist nicht unsere Wahl. Es gibt in Europa aber auch Stimmen, die die Wichtigkeit des Dialogs mit Russland betonen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf den österreichischen Bundeskanzler, der in Hinblick auf den bevorstehenden EU-Gipfel kommende Woche betonte, dass es „Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben kann“.
Das Interview führte Christian Jentsch