EU-Gipfel

Absage der EU-Staaten an Dialog mit Putin: Bedauern bei Merkel und Kurz

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Gespräch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beim EU-Gipfel in Brüssel.
© OLIVIER MATTHYS

Kanzler Kurz (ÖVP) zeigte sich nach den EU-Gipfeldebatten zu Russland und zu Ungarn besorgt über immer tiefere Gräben in der Europäischen Union. Moskau reagierte mit Bedauern darauf, dass die EU keinen Dialog wolle.

Brüssel – Beim EU-Gipfel in Brüssel hat es keine Einigung auf ein Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gegeben. „Wir haben den deutsch-französischen Vorschlag für einen Dialog mit Putin unterstützt“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag. Andere hätten dies kritischer gesehen. Sowohl Moskau als auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigten im Anschluss offen ihr Bedauern darüber.

Kurz zeigte sich nach den EU-Gipfeldebatten zu Russland und zu Ungarn besorgt über immer tiefere Gräben in der Europäischen Union. „Das ist ein heikles Thema, das mir sehr viel Sorge bereitet“, sagte Kurz am Freitag nach Ende der Beratungen in Brüssel. Unterschiedliche Meinungen seien per se kein Problem, vor allem wenn es um innenpolitische Aspekte gehe. „Bei außenpolitischen Fragen nicht geeint aufzutreten, ist schon schlechter. Das schwächt die Europäische Union“, sagte Kurz. Viele Themen würden die EU allerdings schon lange beschäftigen.

Russland reagiert mit Bedauern, Merkel enttäuscht

Russland reagierte mit Bedauern auf den Ausgang des EU-Gipfels. Leider hätten sich eine Reihe von EU-Staaten wie Polen und die baltischen Länder gegen einen Dialog mit Russland ausgesprochen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. „Wir bedauern das in diesem Zusammenhang.“ Präsident Putin sei weiter an Dialog und Zusammenarbeit zwischen Moskau und Brüssel interessiert.

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Deutschlands Bundeskanzlerin Merkel hat sich ebenfalls enttäuscht über die ablehnende Haltung zu einem Spitzentreffen geäußert. „Das betrübt mich etwas“, sagte die Kanzlerin am Freitag in Brüssel. Selbst zur Zeit des Kalten Krieges habe es stets Gesprächskanäle mit Russland gegeben, betonte Merkel. Eine „souveräne Europäische Union“ müsse ihrer Meinung nach in der Lage sein, ihre Interesse gegenüber Putin zu vertreten.

Weiteres Milliardenpaket für Flüchtlinge in der Türkei

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben unterdessen Pläne für ein weiteres Milliardenpaket zur Versorgung von Syrien-Flüchtlingen in der Türkei unterstützt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte zum Abschluss des EU-Gipfels am Freitag, bis 2024 seien „zusätzlich drei Milliarden Euro“ für die Türkei vorgesehen. Weitere 2,2 Milliarden Euro sollten an die Syrien-Nachbarländer Jordanien und den Libanon gehen, die gleichfalls Millionen Flüchtlinge beherbergen.

Starker Widerstand gegen ungarisches Gesetz

Ein Thema heftiger Debatten unter den EU-Ländern war das jüngst verabschiedete ungarische „Pädophilengesetz“. Dieses enthält neben Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch auch umstrittene Passagen, die sich gegen die „Propagierung und Darstellung“ von Homo- und Transsexualität gegenüber Minderjährigen richten. EU-Kommissionschefin von der Leyen kündigte strikten Widerstand gegen das ungarische Gesetz an. Es habe beim EU-Gipfel „überwältigende Unterstützung“ dafür gegeben, die Grundwerte der Europäischen Union zu verteidigen, sagte von der Leyen am Freitag zum Abschluss des Treffens der Staats- und Regierungschefs.

Die meisten Gipfelteilnehmer hätten klar erklärt, dass das ungarische Gesetz gegen diese Grundwerte verstoße, darunter Menschenrechte, Gleichberechtigung, Würde und Freiheit. Diese seien klar in den EU-Verträgen festgelegt und das Fundament der EU, sagte von der Leyen. Sie hat bereits rechtliche Schritte gegen die Regierung in Budapest angekündigt. Am Ende könnte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs stehen.

Rutte legte Orban EU-Austritt nahe

Kurz sagte zur Ungarn-Debatte: „Die Debatte war emotional, es war sicher eine harte Debatte.“ Ziel Österreichs sei es, dass dies nicht zu einem Auseinanderbrechen in Europa führe, „das sehe ich aber nicht“, so Kurz weiter. Er wolle, dass Grund- und Freiheitsrechte überall gewahrt werden. Dies sei ihm lieber als eine Debatte, ob ein Land die Europäische Union verlassen sollte. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hatte dem ungarischen Premier Viktor Orbán im Zusammenhang mit dem Homosexuellen-Gesetz einen Austritt Ungarns aus der EU nahegelegt.

Orbán selbst hatte bereits vor dem Treffen klar gemacht, dass er an dem Text nichts ändern werde. Der rechtsnationale Regierungschef hatte den Vorwurf zurückgewiesen, dass es sich um ein diskriminierendes Gesetz handle und hatte sich selbst als Verteidiger der Rechte Homosexueller bezeichnet.

Drängen auf rasche Aufbauhilfen wegen Coronakrise

Die Staats- und Regierungschefs begrüßten die Fortschritte auf dem Weg zur Auszahlung der Corona-Aufbauhilfen. Zugleich drangen sie beim Gipfel darauf, die nationalen Aufbaupläne schnell zu billigen und umzusetzen. Dies ging aus der am Freitag beschlossenen Gipfel-Erklärung zur Wirtschaftspolitik hervor.

Die Staats- und Regierungschefs hatten sich vor einem Jahr auf ein 750 Milliarden Euro schweres Programm zur wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Pandemie geeinigt. Die Mitgliedsstaaten müssen detaillierte Anträge auf ihren Anteil der Hilfen stellen, die von der EU-Kommission geprüft und vom Rat der EU-Staaten freigegeben werden.

Ein Teil des Treffens in Brüssel fand als sogenannter Eurogipfel der 19 Mitgliedstaaten der Währungsunion statt, zu denen aber auch die übrigen EU-Länder geladen waren. In einer Erklärung bekannten sich die Staaten zu einer weiteren engen Koordinierung der Finanz-und Budgetpolitik sowie zu weiteren Reformen. Die Finanzminister hatten aber zuletzt nicht die gewünschten Fortschritte bei der Bankenunion erzielt. Streitpunkt ist nach wie vor die Schaffung der gemeinsamen Einlagensicherung Edis. (APA/dpa/AFP/Reuters, TT.com)