Mordfall Kufstein: Motiv des 29-Jährigen auf dem Prüfstand
Im Kufsteiner Mordfall wird der Beschuldigte erneut zu seinem Motiv befragt. Dabei soll geklärt werden, ob das Verbrechen ein später Racheakt für einen Missbrauch war.
Von Thomas Hörmann
Kufstein – Warum hat ein Kufsteiner einen 77-Jährigen in der Festungsstadt getötet? Eine Frage, auf die es derzeit zwei Antworten gibt. Welche die richtige ist, wird allerdings nur schwer zu klären sein. Denn „gegen Tote können keine Ermittlungen geführt werden“, sagt dazu Hansjörg Mayr, Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft. Die Frage, ob das Opfer tatsächlich den mutmaßlichen Täter als Kind missbraucht hat, könnte somit unbeantwortet bleiben.
Die Vorgeschichte: Es war am 14. Juni gegen 18.30 Uhr, als ein Zeuge am Innufer die Leiche eines 77-jährigen Kufsteiners entdeckte. Wie Polizeibeamte wenig später feststellen konnten, ist der Mann hinterrücks erstochen worden. Aber schon eine halbe Stunde später schien das Gewaltverbrechen geklärt. Und zwar durch einen 29-jährigen Unterländer, der sich in der Kufsteiner Polizeiinspektion stellte.
Der unbescholtene Kufsteiner gestand, den 77-Jährigen getötet zu haben. Als Beweis präsentierte der alleinstehende Mann den Beamten die Tatwaffe – ein Küchenmesser aus seinem Haushalt. Der 29-Jährige verriet den Beamten auch sein Motiv. Und löste damit endgültig Erstaunen und Entsetzen aus. Denn der Kufsteiner gab an, getötet zu haben, um ins Gefängnis zu kommen. Das Opfer habe er nicht gekannt und willkürlich ausgewählt. Die Gewalttat sei nicht spontan begangen worden, sondern bereits seit Wochen geplant gewesen.
Anwalt recherchierte weiter
Alexander Swancar, Anwalt des Beschuldigten, gab sich mit dieser Erklärung allerdings nicht zufrieden. Der Strafverteidiger recherchierte weiter. Dabei kam er vor einer Woche zu einem ganz anderen, aber ebenso überraschenden Ergebnis. So erfuhr Swancar vom Vater des Beschuldigten, dass das Opfer keineswegs ein Unbekannter, sondern über viele Jahre Nachbar der Familie war. Der Vater war es auch, der dem Anwalt von mehreren Missbrauchsfällen erzählte, die bereits Jahrzehnte zurückliegen. Das jetzige Opfer war angeblich der Täter.
„Der Vater gibt an, in jungen Jahren selbst vom Nachbarn missbraucht worden zu sein. Es soll noch weitere, damals sechs bis acht Jahre alte Opfer geben, alles Buben“, erklärte der Innsbrucker Anwalt am vergangenen Freitag: „Weiters glaubt der Vater, dass auch sein Sohn vom Nachbarn sexuell missbraucht wurde.“ Auch der inhaftierte Beschuldigte habe mittlerweile eingeräumt, er glaube, als Kind missbraucht worden zu sein.
Swancar hat bereits die Staatsanwaltschaft von seinem Rechercheergebnis informiert. Er regte an, die vermeintlichen Missbrauchsopfer als Zeugen zu befragen und den Nachlass des 77-Jährigen nach Hinweisen auf Missbrauchshandlungen (Fotos etc.) zu durchsuchen.
Weitere Vernehmungen
Tatsächlich ist noch einmal Bewegung in den Mordfall gekommen: „Wir werden den Sachverhalt bei weiteren Vernehmungen noch einmal hinterfragen“, erklärt dazu Staatsanwalt Mayr. Ob auch die dem Anwalt namentlich bekannten weiteren angeblichen Opfer befragt werden, sei noch unklar. Das gelte auch für die Durchsuchung des Opfer-Nachlasses, weil gegen Tote keine Ermittlungen geführt werden können. „Aber wenn es um die Klärung des Motivs geht, sind weitere Untersuchungen schon wesentlich“, meint Swancar: „Die Aussagen liegen ja vor, sie müssen nur verifiziert werden.“