Tanzende Teufel und räudig-raue Poesie beim Haller Burgsommer
Nur live ist live: Voodoo Jürgens und „Dreiviertelblut“ bescherten den „Molden & Hawara“-Open-Airs in Hall ein furioses Finale.
Von Michael Domanig
Hall – Nach langem Darben ist der Hunger nach Kultur, besonders nach Livemusik, gewaltig – vor und auf der Bühne. Beim Finale der Konzertreihe „Ernst Molden & Hawara“ im Rahmen des Haller Burgsommers, eines der ersten großen Open-Air-Ereignisse des Tiroler Kulturjahres, war das in jeder Minute zu spüren.
Schon im Vorjahr war es dem Organisationsteam um Andreas Ablinger mit hohem Personalaufwand gelungen, ein pandemiekonformes Konzept – und somit eine der ganz wenigen größeren Freiluftveranstaltungen Österreichs – auf die Beine zu stellen. Und auch heuer gab man das prominent besetzte Programm schon zu einem Zeitpunkt bekannt, als die Entwicklung des Corona-Geschehens noch keineswegs absehbar war – und wurde für das Risiko erneut mit starkem Publikumszuspruch belohnt.
Nachdem der Wiener Liedermacher Ernst Molden in Hall an den Tagen zuvor u. a. die aktuellen Kollaborationen mit seinem kongenialen Haberer Nino aus Wien und Schauspielerin Ursula Strauss präsentiert hatte, gehörte die Bühne am Freitagabend zunächst Dreiviertelblut aus Oberbayern.
Von Molden augenzwinkernd-enthusiastisch als „größte Poeten Bayerns – und möglicherweise dieser Welt“ gepriesen, wurde die schräge Formation mit ihrer „folklorefreien Volksmusik“ tatsächlich für viele im Publikum zur Live-Entdeckung: Ausgerüstet mit Gitarre, Kontrabass, Trompete, Klarinette, Banjo oder Lapsteel, wechselten Dreiviertelblut mühelos zwischen Melancholie und Tanzboden, windschiefen Bläsersätzen und zwingenden Reggae-, Ska- und Balkan-Rhythmen. Dazu servierte Sänger Sebastian Horn (echte Popnerds mögen ihn auch von der Band Bananafishbones kennen) schaurige Mundarttexte voll dunkler Romantik und schwarzem Humor. Gemeinsam mit Molden gaben die Bayern u. a. dessen Wiener Variante des „St. James Infirmary Blues“ („Rudolfstiftung“) zum Besten. Fazit: Nicht erst beim Rausschmeißer „Deifedanz“ (Merke: „Wannst mim Deife danzt, dann brauchst guate Schua“) herrschte im lauschigen Hofratsgarten der Burg Hasegg Euphorie.
Und trotz einsetzenden Regens blieb die Stimmung auch beim an- und abschließenden Auftritt von Voodoo Jürgens ausgelassen: Mit seiner bestens geölten Ansa Panier spielte, raunzte und rauchte sich der Wiener Straßenpoet durch einen bereits erstaunlich prallen Katalog an Hits: räudige kleine Geschichten von Säufern und Spielern, Strizzis und Schwerenötern, „der Gitti“ und „dem Hansi“ (Orsolics). Die Palette reichte von den „3 Gschichtn ausn Café Fesch“ über „Heite grob ma Tote aus“ bis zu einer krachigen Version des – auch gesellschaftspolitisch lesbaren – „Angst haums“. Die letzte, frenetisch beklatschte Zugabe hieß „Heast do hob i scho gnua“. Davon kann freilich keine Rede sein: Dieser Kultursommer schmeckt nach mehr.