Kraftkunst mit mäßiger Wirkung: „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen
Ratlos an der Grenze zum Kitsch: Romeo Castellucci und Teodor Currentzis deuten bei den Salzburger Festspielen mit starkem Ensemble Mozarts „Don Giovanni“ aus.
Von Jörn Florian Fuchs
Salzburg – Der von Intendant Markus Hinterhäuser befürchtete Skandal blieb aus. Einhelliger Jubel nach über vier Stunden Mozart und Castellucci und Currentzis (oder vielmehr Castellucci, Currentzis und Mozart) durchflutete das Große Festspielhaus. Skandalös war die Premiere des neuen „Don Giovanni“ tatsächlich nicht. Aber so richtig gelungen? Eine Bewertung fällt nicht leicht, sowohl was das Szenische betrifft als auch die musikalische Umsetzung durch Teodor Currentzis und das musicAeterna Orchestra.
Currentzis ist ja ein völlig unberechenbarer Künstler, der gerne die Musikwelt neu erfindet und damit polarisiert. Sein „Giovanni“ lässt einen eher ratlos zurück. Merkwürdig zurückgenommen, oft verhalten klingt das Orchester, anders als etwa beim legendären Salzburger „Titus“ wird oft klangschön, aber bisweilen auch etwas maschinell musiziert. Großartig, reich an Kraft und Dynamik tönen der musicAeterna Chor und die Herren des Salzburger Bachchors (Einstudierung Vitaly Polonsky). Bei den Rezitativen setzt Currentzis Laute, Gitarre und Cello ein, es entstehen häufig feine Übergänge zu den folgenden Arien und Ensembles. Leider gibt es auch ein Hammerklavier, das zeitweise gewollt dissonant klingt, was immerhin zu einem vom Bühnenhimmel herunterfallenden Flügel passt.
Auch andere Dinge stürzen herab, ein Rollstuhl, ein großes Auto (!) – Romeo Castellucci liebt in seinen Inszenierungen ja das aufwändige Spiel mit Gegenständen, die nicht immer sinnstiftend und zielführend zum Einsatz kommen. Im besten Fall sind es starke (Alb-)Traumvisionen, Symbole, die Assoziationen freisetzen. Beim „Giovanni“ wird manches zu konkret und geht an die Kitschgrenze, wenn etwa der Titelheld 150 Salzburgerinnen begegnet, die derart pittoresk in hübschen Kleidern lustwandeln, dass man unweigerlich an eine Eurythmie-Sitzung denkt. Vieles findet in kunstvoll vernebelten Räumen statt. Der Rahmen ist eine Kirche, die anfangs von Bühnenarbeitern gleichsam entsakralisiert wird – Altarbild, Statuen, Kirchenbänke verschwinden, danach ist reichlich Platz für Castelluccis Bilderflut.
Interessant: Giovanni und sein Diener Leporello sehen völlig gleich aus, sind also wesensverwandt, spiegeln sich ineinander. Giovanni hat größte Angst vor Bindungen, wofür eine schwangere Frau und ein kleiner Bub stehen. Und aus praktischen Gründen ist fast immer eine Matratze im Gepäck, damit es im Eroberungsfall schnell geht ...
Doch leider verrutscht die Inszenierung zunehmend ins Dekorative, die Figuren – vor allem die Frauen im Stück – rücken einem ziemlich fern. Es fehlt an Binnenspannung, auch weil Currentzis zunehmend konturloser dirigiert. Es dauert und dauert, bis zum ‚komturlosen‘ Finale (der von Giovanni vor vier Stunden fast zärtlich ermordete Vater Donna Annas bleibt unsichtbar). Davide Luciano hat einen immens wirksamen Auftritt, indem er nackt und mit Kalkfarbe beschmiert unter minutenlanger (Selbst-)Folter abtritt. Luciano singt brillant, koloraturenstark nicht nur bei der Champagner-Arie. Sein Pendant/Double Leporello (Vito Priante) ist ihm vokal völlig ebenbürtig, Michael Spyres überzeugt als Don Ottavio, szenisch bleibt seine Figur leider arg unterbelichtet. Anna Lucia Richters Zerlina und David Steffens als Masetto fügen sich ins homogene Ensemble wunderbar ein. Und Nadezhda Pavlovas Donna Anna ist eine Idealbesetzung.