Auch Provinzhauptstadt Talokan im Norden Afghanistans fiel an Taliban
Die Hauptstadt der Provinz Tachar ist die dritte Provinzhauptstadt, die am Sonntag von den Taliban eingenommen wurde und die fünfte, die ihnen innerhalb von drei Tagen in die Hände fiel.
Kunduz – Nach der Großstadt Kunduz haben die militant-islamistischen Taliban am Sonntag eine weitere Provinzhauptstadt im Norden Afghanistans eingenommen. Die Sicherheitskräfte von Talokan in der Provinz Tachar hätten sich aus der Stadt zurückgezogen, sagte Provinzrat Rohullah Raufi. Die Hauptstadt der Provinz Tachar ist die dritte Provinzhauptstadt, die am Sonntag von den Taliban eingenommen wurde und die fünfte, die ihnen innerhalb von drei Tagen in die Hände fiel.
Die Aufständischen haben seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im Mai bereits weite Teile des Landes erobert. Raufi zufolge zogen sich die Regierungskräfte in einen Bezirk rund 40 Kilometer vom Stadtzentrum zurück, um zivile Opfer und Zerstörung zu vermeiden. Die Stadt mit etwa 260.000 Einwohnern war seit mehreren Wochen umzingelt. Immer wieder hatten die Islamisten die Außenbezirke angegriffen. Tachar ist die Nachbarprovinz von Kunduz. Ein Einwohner der Stadt berichtete, Beamte und Sicherheitskräfte hätten die Stadt in langen Fahrzeugkonvois verlassen. Ein weiterer hochrangiger Beamter, der namentlich nicht genannt werden wollte, bestätigte, dass die Stadt gefallen sei.
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Der Vormarsch der Taliban im Norden Afghanistans könnte sich als Wendepunkt im Kampf mit den Regierungsstreitkräften erweisen. Der Norden gilt seit langem als Hochburg des Widerstands gegen die Islamisten. Die Region ist Heimat mehrerer Milizen und für die afghanische Armee wichtiges Rekrutierungsgebiet. Zudem ist die Stadt ein wichtiges Handelszentrum nahe der Grenze zum Nachbarland Tadschikistan.
Die Taliban hatten Kunduz bereits 2015 und 2016 kurzzeitig eingenommen. Beide Male wurden die Islamisten mit US-Luftangriffen zurückgedrängt. Auch aktuell fliegen die USA Luftschläge - noch. Die US-Truppen sind praktisch schon abgezogen. Die Flieger steigen außerhalb Afghanistans auf. "Das heißt: Es gibt nicht mehr genügend Mittel, um jede angegriffene Stadt des Landes zu verteidigen", schrieb die New York Times.
Stadt befindet sich im "totalen Chaos"
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums starteten die afghanischen Truppen am Sonntag eine Offensive zur Rückeroberung wichtiger Einrichtungen in Kunduz. "Einige Gebiete, darunter jene mit den Gebäuden des nationalen Radios und Fernsehens, wurden von den terroristischen Taliban geräumt", hieß es in einer Mitteilung. Die Stadt befinde sich im "totalen Chaos", berichtete ein Einwohner.
Zuvor war bereits Sar-i Pul in der gleichnamigen Provinz an die Islamisten gefallen, bestätigten die Provinzräte Asadullah Khuram und Mohammad Noor Rahmani der dpa. Den Behördenvertretern zufolge haben die Taliban in Sar-i Pul nun die wichtigsten Regierungsgebäude unter ihrer Kontrolle. Alle Vertreter der Regierung hätten sich in eine Militärbasis rund einen Kilometer vom Zentrum der Stadt zurückgezogen, die belagert sei. Die Taliban würden Mörsergranaten auf die Basis feuern.
Am Freitag war die kleine Provinzhauptstadt Zaranj in Nimroz an der iranischen Grenze praktisch kampflos an die Taliban gefallen. Am Samstag folgte die Stadt Sheberghan in Jowzjan im Norden, Machtsitz des umstrittenen ehemaligen Kriegsfürsten und Ex-Vizepräsidenten Abdul Rashid Dostum, eine führende Anti-Taliban-Figur.
USA verurteilten "neue gewaltsame Offensive der Taliban"
Die USA hatten die "neue gewaltsame Offensive der Taliban gegen afghanische Städte" schon am Samstag verurteilt. Das Auswärtige Amt in Berlin sieht nun eine zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Situation entwickle sich rasant, sagte ein Ministeriumssprecher am Sonntag.
Seit dem Beginn des Abzugs der US- und NATO-Truppen Anfang Mai haben die Taliban in mehreren Offensiven massive Gebietsgewinne verzeichnet. Sie eroberten zudem mehrere Grenzübergänge. Die US-Militärmission in Afghanistan endet am 31. August. Der Abzug ist US-Angaben zufolge zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen. (APA/dpa/AFP)