„Maria Stuart“ in Salzburg: Königliche Überlebenswut hoch zwei
Martin Kušej inszeniert Schillers „Maria Stuart“ bei den Salzburger Festpielen als wuchtige Studie patriarchaler Macht.
Von Joachim Leitner
Salzburg – Man braucht sich keine Illusionen machen: Das Fallbeil wischt über die Tonspur – und Maria Stuarts Kopf schwingt hoch über der Bühne. Aus dem Kopfstumpf spritzt Blut. In einer der Hochglanz-Serien, mit denen Regisseur Martin Kušej Friedrich Schillers „Maria Stuart“ zuletzt gerne verglich, würde nun ein Insert folgen: Was bisher geschah. So viel Verständnisstütze braucht Theater glücklicherweise nicht. Licht aus, Licht an: Die rund 30 nackten Männer, die sich im ersten Bild noch vergeblich nach dem abgeschlagenen Kopf streckten, stehen nun, den Blick ins Publikum gerichtet, da – und atmen durch eine Sauerstoffmaske. Das Bild hat Kraft. Es stellt klar, was hier verhandelt werden will: Wir sind in einer Männerwelt. Die Männermacht mag angeschlagen sein, aber mit etwas Frischluftzufuhr hält sie sich. Das also ist das Setting für Martin Kušejs „Maria Stuart“-Neuinszenierung. Am Samstagabend hatte sie im Rahmen der Salzburger Festspiele auf der Pernerinsel Premiere. Ab 5. September ist die Produktion am Wiener Burgtheater zu sehen.
Seiner Handschrift bleibt Kušej auch in dieser Klassiker-Neudeutung treu: Wuchtig-kühle Tableaus und wummernde Weltuntergangsmusik, die in der Regel eine große Überthese illustrieren. Diesmal: Auch wenn es vordergründig um das Duell zweier machtbewusster Königinnen geht, dahinter stehen männliche Machenschaften. Die Idee, die patriarchalen Verhältnisse als lebendes Bühnenbild – die 30 Nackten eben – zu erzählen, ist nicht unbedingt subtil, aber eindrücklich. Mal sind die Körper militärisch streng geordnet, mal verschmelzen sie zum Cluster, aus dem sich die eigentlichen Strippenzieher des Schiller’schen Königinnendramas erst herausschälen müssen. Das ist effektvoll. Und doch: Es dauert, bis die Inszenierung in Fahrt kommt. Die ersten 80 der gut 160 Minuten, auf die Kušej das ausladende Stück eingedampft hat, sind zäh, obwohl sich gerade die beiden Königinnen sofort ins Zeug legen. Birgit Minichmayr spielt die Schottenkönigin Maria, die von der Queen of England, Elisabeth Tudor – gespielt von Bibiana Beglau –, zunächst eingekerkert und schließlich zum Tode verurteilt wird. Gefangene sind beide Frauen. Minichmayrs Maria durchlebt alle Facetten der Überlebenswut – und erlischt beeindruckend, als ihr Ende unausweichlich wird. Beglau geistert mit bis zum Zerbersten angespannten Muskeln aus. Sie zetert und zaudert, tobt und taumelt, sucht nach Haltung, ringt mit Worten – und raubt den Atem.
Um die zwei Monarchinnen herum sind eine Handvoll hinterhältiger Höflinge gruppiert (Itay Tiran als Leicester, Norman Hacker als Burleigh, Rainer Galke als Paulet und Franz Pätzold als Mortimer). Sie bleiben blass, treiben – säuberlich deklamierend – das voran, was man gemeinhin den Plot nennt. Der ist verwinkelt, reich an Herzschmerz, Scharmützel und Intrige. Oliver Nägele gelingt als Shrewsbury das eindrückliche Porträt eines rechtschaffenden Royalisten, der zur Räson aufruft. Glücklos. Die Männer-Machtmaschine kennt auch bei Männern kein Pardon. Da braucht man sich keine Illusionen machen.
Kommentar: Salzburg als Schaufenster
Von Joachim Leitner
Die Festspiele in Salzburg sind die größte Schauspiel-Schaufenster des Sprachraums. Programmatisch war darin zuletzt, angesichts der prolongierten 100-Jahr-Feier wenig überraschend, Rückschau angesagt. Der Domplatz-Dauerbrenner „Jedermann“ wurde im 101. Jahr generalsaniert und weitergedacht. Auch Karin Henkels Shakespeare-Mashup „Richard The Kid & The King“ riss neue Räume auf. Trotzdem: Shakespeare, Schiller und – dank Jossi Wielers Schürfungen im „Bergwerk zu Fallun“ – ein doppelter Hofmannsthal, das klingt bei allen Anstrengungen, die Stoffe ins Heute zu wuchten, nach gut gepflegtem Repertoire. Dabei waren die Festspiele immer auch Labor für bisweilen waghalsige Gegenwartsdramatik. Daran muss jetzt, wo der Geburtstag abgefeiert ist, erinnert werden. Es ist an der Zeit, auch die jungen Stimmen ins Schaufenster zu stellen.