Erster ziviler Evakuierungsflug seit US-Abzug aus Afghanistan
Die Maschine brachte etwa 110 Menschen von Kabul nach Doha. Katars Außenminister dankte den Taliban für ihre Kooperation. Diese verstärken indes ihre Präsenz in den Straßen Kabuls.
Kabul – Zehn Tage nach dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan sind erstmals Ausländer an Bord eines zivilen Evakuierungsflugs außer Landes gebracht worden. Die ersten der rund 110 Passagiere, darunter auch US-Bürger und Deutsche, verließen am Donnerstag in Doha eine in Kabul gestartete Maschine der katarischen Fluggesellschaft Qatar Airways, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP beobachteten. Derweil verstärkten die radikalislamischen Taliban ihre Präsenz in den Straßen Kabuls.
Ein afghanisch-amerikanischer Doppelstaatsbürger, der mit seiner Familie an den Kabuler Flughafen gekommen war, sagte AFP-Reportern in der afghanischen Hauptstadt, er sei erst wenige Stunden zuvor über die Ausreisemöglichkeit informiert worden. „Wir hatten Kontakt mit dem Außenministerium, das mich heute Morgen anrief und mir sagte, ich solle mich zum Flughafen begeben."
Der katarische Sender Al-Jazeera zeigte Frauen und Kinder, die mit ihren Koffern am Flughafen warteten. „Wir sind den Katarern sehr dankbar", sagte ein Mann, bei dem es sich dem Bericht zufolge um einen kanadischen Passagier handelte. Zunächst war von rund 200 Passagieren die Rede gewesen. Später wurde in mit dem Vorgang vertrauten Kreisen von „etwa 113" Passagieren gesprochen.
Weißes Haus nennt Verhalten der Taliban „professionell"
Der katarische Sondergesandte für Afghanistan, Mutlak al-Kahtani, sprach von einem „historischen Tag" für den Kabuler Flughafen. Dies sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur „Wiedereröffnung des Flughafens für internationale Flüge". Nach der Landung in Doha dankte Außenminister Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani den Taliban für ihre „Kooperation". Das Weiße Haus in Washington nannte das Verhalten der Taliban in diesem Fall „professionell".
Die nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban gestarteten Evakuierungsflüge aus Kabul waren Ende August mit dem Abzug der US-Truppen eingestellt worden. Über die internationale Luftbrücke waren binnen weniger Wochen etwa 123.000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen worden. Aber nicht alle ausreisewilligen Ausländer und gefährdeten Afghanen wurden rechtzeitig außer Landes gebracht. Dies hatte international heftige Kritik an dem chaotischen Abzug der internationalen Truppen ausgelöst.
Katar ist in der Afghanistan-Krise ein Schlüssel-Akteur. In dem Golf-Staat fanden 2020 die Verhandlungen zwischen den Taliban und der US-Regierung über einen Truppenabzug aus Afghanistan statt. Später wurden in Katar die Verhandlungen zwischen der Miliz und der damaligen afghanischen Regierung geführt. Am Donnerstag beriet sich der katarische Außenminister auch mit seinem iranischen Kollegen.
💬 Afghanische Frauenrechtlerin gegen Anerkennung der Taliban-Regierung
Die afghanische Frauenrechtlerin und bis dato Vizepräsidentin des afghanischen Parlaments Fawzia Koofi hat am Donnerstagabend in der Zib2 die Ex-Regierung unter Präsident Ashraf Ghani und die USA für die schnelle Niederlage gegen die Taliban verantwortlich gemacht. Sicherheitskräfte hätten ihr gesagt, sie seien seit Monaten nicht bezahlt worden und hätten nichts zu essen, so Koofi. Eine Anerkennung der Taliban-Regierung durch den Westen könne sie sich nicht vorstellen.
Über humanitäre Hilfe solle der Westen aber mit den militanten Islamisten verhandeln. An die westlichen Staaten appellierte sie: „Helft uns wieder eine Demokratie in Afghanistan zu errichten." Durch die von den USA initiierten Verhandlungen seien die Taliban gestärkt worden, ebenso wie durch die weitverbreitete Korruption, so Koofi. „Ich sehe eine Nation entsetzt von der Tatsache, dass sie alles so schnell verloren hat".
Koofi war eine der vier Frauen im 21-köpfigen Verhandlungsteams der afghanischen Regierung bei den von den USA initiierten innerafghanischen Friedensgesprächen mit den Taliban in Katar. Im August 2020 wurde sie bei einem Schussangriff am Arm verletzt. Bereits 2010 hatte sie ein Attentat überlebt. Damals hatten bewaffnete Männer auf sie gefeuert, als sie nach einer Veranstaltung zum Internationalen Frauentag nach Kabul zurückkehrte.
Koofi war die erste Frau in Afghanistan, die den Posten der stellvertretenden Parlamentssprecherin innehatte. Sie ist eine bekannte Kritikerin der Taliban, dennoch befürwortete sie den Dialog mit den Jihadisten.
Proteste bis auf Weiteres untersagt
Nach der Aufnahme ihrer Regierungsarbeit am Mittwoch verboten die Taliban indes alle Proteste „bis auf Weiteres". Wer dagegen verstoße, müsse mit „strengen rechtlichen Schritten" rechnen, erklärten sie. Zuvor war es in mehreren Städten des Landes zu einzelnen Demonstrationen gegen die neuen Machthaber am Hindukusch gekommen.
Kundgebungen wurden daraufhin am Donnerstag von den Organisatoren aus Angst abgesagt. Die Taliban erhöhten die Präsenz ihrer Sicherheitskräfte auf den Straßen von Kabul deutlich, wie AFP-Journalisten berichteten.
„Jeden Tag Berichte über Rückschritte bei Frauenrechten"
Die UNO kritisierte den harten Kurs gegen Menschen- und Frauenrechte, den die Taliban trotz aller Versprechungen offenbar einschlagen. So wird Frauen das Arbeiten verboten beziehungsweise Frauen bekommen ihre Gehälter einfach nicht gezahlt, wie die in Kabul ansässige UN-Frauenrechtlerin Alison Davidian sagte. „Wir erhalten jeden Tag Berichte über Rückschritte bei den Frauenrechten."
Die Taliban hatten versichert, ihre Herrschaft werde sich von ihrer Zeit an der Macht in den 1990er Jahren unterscheiden. Damals mussten Afghaninnen zu Hause bleiben, die meisten Unterhaltungsangebote waren verboten und es wurden Strafen wie Steinigungen und öffentliche Hinrichtungen verhängt. Speziell zu Frauenrechten erklärten die Islamisten nun, diese würden „im Rahmen des Islam" respektiert.
Am Dienstag hatten die Taliban ihre neue Regierung für Afghanistan vorgestellt. Im Kabinett finden sich ausschließlich Männer mit langjähriger Zugehörigkeit zu der islamistischen Bewegung. (APA/AFP)