Afghanistan

US-Militär räumt Fehler ein: Luftangriff in Kabul tötete Unschuldige

Nach der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan hatten die USA eine groß angelegte Militär-Evakuierungsmission gestartet, um westliche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen außer Landes zu bringen.
© Aamir QURESHI / AFP

Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan endete im Chaos. Kurz vor Schluss starteten US-Militärs einen Drohnenangriff, um – wie sie annahmen – einen drohenden Anschlag am Flughafen zu verhindern. Doch das stellte sich als „tragischer Fehler“ heraus.

Washington – Das US-Militär hat eingeräumt, bei einem Drohnenangriff in der afghanischen Hauptstadt Kabul Ende August unschuldige Zivilisten statt Extremisten getötet zu haben. Der Luftangriff sei ein „tragischer Fehler“ gewesen, sagte General Kenneth McKenzie, der das US-Zentralkommando Centcom führt, am Freitag in einer Videoschalte vor Journalisten. Eine Untersuchung habe gezeigt, dass bis zu zehn Unschuldige, darunter bis zu sieben Kinder, ums Leben gekommen seien. Man halte es für unwahrscheinlich, dass das Fahrzeug und die getöteten Personen eine direkte Bedrohung für die US-Streitkräfte dargestellt hätten oder mit Isis-K, einem Ableger der Terrormiliz IS, in Verbindung gestanden hätten.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach den Familien der Getöteten sein Beileid aus und erklärte: „Wir entschuldigen uns und werden uns bemühen, aus diesem schrecklichen Fehler zu lernen.“ Er habe angeordnet, zu untersuchen, inwiefern Abläufe bei künftigen Drohnenangriffen womöglich geändert werden müssten.

Nach der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan Mitte August hatten die USA und ihre internationalen Partner eine groß angelegte Militär-Evakuierungsmission gestartet, um westliche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen außer Landes zu bringen. Inmitten des Evakuierungseinsatzes wurden Ende August bei einer Terrorattacke des IS, der mit den Taliban verfeindet ist, vor dem Flughafen von Kabul Dutzende Afghanen und 13 US-Soldaten getötet. Die USA reagierten daraufhin mit Luftangriffen und nahmen Kämpfer von Isis-K ins Visier.

Luftangriff mit Drohnen

Das US-Militär hatte zunächst mit einem Drohnenangriff in der afghanischen Provinz Nangarhar nach eigenen Angaben zwei ranghohe Vertreter von Isis-K getötet. In Kabul wiederum griff das US-Militär am 29. August unweit des Flughafens mit einer Drohne ein Auto an, in dem die Amerikaner ebenfalls Isis-K-Anhänger vermuteten. Argumentiert wurde, dadurch sei möglicherweise ein weiterer schwerer Terrorangriff am Flughafen verhindert worden.

Nach dem Anschlag beim Flughafen in Kabul reagierten die USA und nahmen führend Köpfe der Terrororganisation Isis-K in Nangahar ins Visier.
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Medien hatten bereits kurz nach diesem Luftanschlag berichtet, dass mehrere Zivilisten bei der Drohnenattacke ums Leben gekommen seien. Die USA hatten dies nicht direkt zurückgewiesen, sondern eine Prüfung angekündigt. Generalstabschef Mark Milley hatte den Angriff aber noch nach ersten Berichten über mögliche zivile Opfer verteidigt.

Das US-Militär hatte ursprünglich mitgeteilt, in dem zerstörten Fahrzeug habe sich „eine große Menge Sprengstoff“ befunden, die womöglich zu weiteren Opfern geführt habe. Man wisse nun mehr, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Freitag.

"Bin hier um unseren Fehler einzugestehen"

McKenzie sagte ausdrücklich: „Ich bin heute hier, um das geradezurücken und unseren Fehler einzugestehen.“ Er betonte: „Dieser Schlag wurde in dem ernsten Glauben ausgeführt, dass er eine unmittelbare Bedrohung unserer Streitkräfte durch die Evakuierten auf dem Flughafen verhindern würde, aber das war ein Fehler.“ Das US-Militär bedaure dies zutiefst.

Minutengenau legte McKenzie bei seinem Auftritt die Abläufe in den Stunden vor dem Luftschlag dar und präsentierte eine Karte, auf der die Bewegungen des getroffenen Autos nachgezeichnet wurden. Es habe sich nicht um einen „überstürzten Angriff“ gehandelt, betonte er. Man habe das Fahrzeug zuvor acht Stunden lang beobachtet und sei sehr besorgt gewesen, dass es sich in Richtung Flughafen bewegte. Die Amerikaner rechneten dort in den letzten Tagen vor dem Abzug des US-Militärs mit weiteren Anschlägen.

McKenzie entschuldigte sich für die dramatische Fehleinschätzung, verteidigte den Drohnenangriff aber mit der vermuteten Bedrohung und betonte, es habe sich um einen Selbstverteidigungsschlag gehandelt. Auf Nachfrage sagte der General, man erwäge Entschädigungszahlungen. Konkreter wurde er nicht. Er betonte aber: „Als Kommandant bin ich voll verantwortlich für den Angriff in seinem tragischen Ausgang.“

Republikaner geben Biden die Schuld

„Präsident Biden trägt die letzte Verantwortung“, reagierte der Republikaner Jim Inhofe, der auch im Verteidigungsausschuss des Senats sitzt. „Sein überstürzter Abzug der US-Truppen aus Afghanistan hat unser Militär mit der unmöglichen Aufgabe zurückgelassen, Terroristen ohne Personal oder Partner vor Ort zu bekämpfen.“ Ex-Präsident Donald Trump zufolge sind die USA noch nie so „blamiert und gedemütigt“ worden. Die Regierung habe zeigen wollen, dass sie „harte Kerle“ seien, viele Menschen seien wegen „inkompetenter Generäle“ getötet worden.

Marine Soldat Rohanny Rosario Pichardo war einer von mehreren US-Soldaten, die bei dem Selbstmordanschlag in Kabul ihr Leben verloren.
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Die letzten US-Truppen hatten Kabul Ende August, also kurz nach dem Drohnenangriff, verlassen. Damit endete der internationale Militäreinsatz in Afghanistan nach fast 20 Jahren. Die Regierung von Präsident Joe Biden war wegen des Truppenabzugs und der chaotischen Umstände international bereits massiver Kritik ausgesetzt. Der dramatische und so folgenreiche Fehler bei dem Drohnenangriff in Kabul wiegt daher für die Biden-Regierung besonders schwer.

Unterdessen haben am Samstag mehr als 100 afghanische Journalisten an die internationale Gemeinschaft appelliert, Maßnahmen zum Schutz der Pressefreiheit in Afghanistan zu entwickeln. Am dringendsten seien Schutzgarantien insbesondere für Journalistinnen, erklärten sie anonym in einem Appell über Reporter ohne Grenzen (RSF). Übergriffe auf Fotografen und Reporter und die Einmischung der nun herrschenden militant-islamistischen Taliban in die Medienarbeit ließen das Schlimmste befürchten.

Die Journalisten dringen auf konkrete Unterstützung, um afghanischen Redaktionen eine weitere Arbeit zu ermöglichen. Kurzfristig brauche man auch diplomatische, konsularische und finanzielle Hilfe für die Evakuierung gefährdeter Journalisten. Geflüchteten müsse geholfen werden, im Ausland im Journalismus zu arbeiten. Die internationalen Institutionen müssten bei den Verhandlungen mit den Taliban konkrete Zusagen von den neuen Führern Afghanistans einholen. (dpa)

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