Wahlen in einer Woche: In Graz scheint alles möglich zu sein
Am Sessel des Grazer Langzeitbürgermeisters Siegfried Nagl (ÖVP) wird von vielen Seiten gerüttelt.
Von Carmen Baumgartner-Pötz
Wien – Wenn am nächsten Sonntag in der zweitgrößten Stadt Österreichs die politischen Karten neu gemischt werden, dann ist das ein besonderer Urnengang. Schon allein wegen der Größe: Graz hat rund 300.000 Einwohner, ein sehr großes Einzugs-/Einpendlergebiet und eine Kessellage, die die steirische Landeshauptstadt beim Verkehr vor besondere Herausforderungen stellt – einem der bestimmenden politischen Zukunftsthemen.
Und doch könnte alles beim Alten bleiben und Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) mit dem fünften Wahlsieg in Folge rechnen. Er hat sich in den letzten Legislaturperioden als sehr flexibel gezeigt, was den Koalitionspartner betrifft, arbeitete bereits mit SPÖ, Grünen und zuletzt der FPÖ zusammen. Die Kommunisten, in Graz traditionell sehr stark und zuletzt zweitstärkste Partei, band er über Arbeitsübereinkommen ein. Also alles ganz entspannt in der mediterranen Stadt an der Mur? Nicht unbedingt.
Empörung über FPÖ-Plakate
Mario Eustacchio, freiheitlicher Bürgermeister-Stellvertreter, trat im bisherigen Wahlkampf freundlich auf, für FPÖ-Verhältnisse fast sanft. Doch mit der jüngsten Plakatwelle kehrten die Freiheitlichen zu ihrer alten Tradition provozierender Plakate zurück: „Graz ist nicht eure Heimat. Garantiert“, steht über einem Schwarz-Weiß-Bild, das männliche Flüchtlinge zeigt.
Das sorgt für Empörung bei den anderen Parteien, unter anderem bei den NEOS. Diese haben dem tschechischen Fotografen Radek Procyk, der das Bild 2015 in Ungarn gemacht hat, rechtliche Unterstützung zugesichert. Spitzenkandidat Philipp Pointner spricht von einem „menschenverachtenden Plakat“ und forderte die FPÖ auf, die Plakate mit dem wahrscheinlich illegal genutzten Foto sofort abzuhängen. Laut Eustacchio ist die Nutzung des Bildes freilich rechtlich abgeklärt, die Plakate sollen hängen bleiben, hieß es in der Kleinen Zeitung. Ebendort geht der ehemalige Chefredakteur Erwin Zankel mit dem Wahlkampf hart ins Gericht. Den breit diskutierten Plänen für eine Grazer U-Bahn – eigentlich uralt, aber neu aufgelegt – kann er wenig abgewinnen. „Die Metro ist Siegfried Nagls bisher prächtigstes Luftschloss. Es soll von den Versäumnissen ablenken“, kommentiert der erfahrene politische Beobachter. Denn über die Entlastung des Nadelöhrs Herrengasse im Stadtzentrum wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Dass die U-Bahn jemals umgesetzt wird, ist schon aus finanziellen Gründen (der Bund müsste ordentlich zuschießen) sehr fraglich.
Am spannendsten bleibt im Vorfeld der Wahl – schon vorgestern konnte am vorgezogenen Wahltag die Stimme abgegeben werden –, mit wem Nagl danach eine politische Partnerschaft eingehen wird. Die KPÖ (Spitzenkandidatin Elke Kahr) schließt er wie schon in der Vergangenheit aus. Dass sich rechnerisch eine Koalition mit den Grünen ausgeht, ist nur bei deutlichen Stimmengewinnen für beide Parteien möglich. Die grüne Spitzenkandidatin Judith Schwentner ist übrigens die Einzige, die neben Nagl mit der Ansage, Bürgermeisterin werden zu wollen, antritt. Bei nur 10,5 Prozent Zuspruch bei der letzten Wahl 2017 wohlgemerkt. Und was ist mit einer Dreierkoalition KPÖ, Grüne und SPÖ, rechnerisch zumindest im Bereich des Möglichen? Zumindest die ÖVP malt dieses „dunkelrote Gespenst“ fast schon gewohnheitsmäßig an die Wand – aus Mobilisierungsgründen? Laut dem Grazer Politologen und FH-Lehrenden Heinz Wassermann sind Prognosen jedenfalls schwierig: „Wahlen in Graz sind ja immer sehr unterschiedlich, die Wähler vergleichsweise unberechenbar“.