Ökosoziale Steuerreform: Ab Mitte 2022 kosten CO2-Emissionen 30 Euro pro Tonne
Türkis-Grün hat sich auf das große Prestigeprojekt einer ökosozialen Steuerreform geeinigt. In Summe sollen die Entlastungen bis 2025 18 Milliarden Euro betragen, rechnete die Regierung am Sonntag vor.
Wien – Die türkis-grüne Regierung hat sich auf ihr großes Prestigeprojekt einer ökosozialen Steuerreform geeinigt. Ab 1. Juli 2022 müssen die Österreicher für ihren CO2-Ausstoß eine zusätzliche Steuer bezahlen. Der Einstiegspreis beträgt 30 Euro pro Tonne und steigt dann bis 2025 auf 55 Euro. Ab 2026 soll es einen EU-weiten CO2-Emissionshandel für sämtliche Lebensbereiche geben. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung fließen zurück zur Bevölkerung in Form eines Klimabonus.
Je nachdem, wo man wohnt und ob man öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung hat oder auf das Auto angewiesen ist, bekommt man die CO2-Einnahmen als regionalisierten Klimabonus zurück. Dieser wird parallel zu den Einnahmen jährlich steigen. Im ersten Jahr wird er zur Gänze ausgezahlt, obwohl die Steuer erst ab 1. Juli fällig ist. Diese Aufschiebung um ein halbes Jahr erklärte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) mit der aktuell angespannten Lage am Gasmarkt, die zu einem enormen Anstieg der Gaspreise geführt hat. Durch die CO2-Steuer würde das zu massiven Verteuerungen führen, die man vermeiden wolle.
Regionaler Klimabonus
Die Einnahmen aus der CO2-Steuer werden kumuliert bis 2025 rund fünf Mrd. Euro betragen, wobei sie 2022 nur rund eine halbe Mrd. ausmachen werden, weil es nur ein halbes Jahr ist. Der CO2-Preis fließt als regionaler Klimabonus an die Bevölkerung zurück. Es wird 2022 vier Stufen geben: 100 Euro, 133 Euro, 167 Euro und 200 Euro pro Jahr und Person im ersten Jahr. Für Kinder gibt es die Hälfte des "Regionalen Klimabonus".
Die genaue Berechnung nach Region wird erst gemacht. 100 Euro für Erwachsene und 50 Euro für Kinder wird es in der Großstadt geben. In Mödling, Wörgl und Leoben wird es die 133 Euro geben, in Neusiedl am See und Eferding die 167 und in dünn besiedelte Gegenden wie etwa Litschau und Mellau die 200 Euro.
Mit dem Anstieg des CO2-Preises wird auch der Klimabonus steigen und etwa in Jahr 2025 fast das Doppelte betragen, weil auch der CO2-Preis bis dahin auf 55 Euro angestiegen sein wird, erklärte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Soweit aber der CO2-Ausstoß und damit die Einnahmen aus der Abgabe sinken, geht auch der Regionale Klimabonus zurück. Die Steuerreform bringe ein "neues Denken". Umweltfreundliches Verhalten werde günstiger, umweltschädliches teurer. "Weniger Dreck in der Luft, aber mehr Geld im Geldbörsel", so Kogler.
Zusätzlich zum Klimaaspekt, wird es zahlreiche Entlastungen gebe, die sich bis 2025 auf 18 Milliarden Euro summieren. Sparmaßnahmen als Gegenfinanzierung sind nicht vorgesehen, die Bundesregierung geht davon aus, dass die Entlastungen durch zusätzliches Wachstum und Betriebsansiedlungen finanziert werden und dass gleichzeitig auch der Abbau der Staatsverschuldung möglich ist.
Die geplante Senkung der Lohnsteuer erfolgt stufenweise: Die 2. Einkommensstufe wird von 35 auf 30 Prozent ab Juli 2022 gesenkt, die 3. Einkommensteuerstufe von 42 auf 40 Prozent ab Juli 2023. Für kleine Einkommen werden die Krankenversicherungsbeiträge gesenkt. Der Familienbonus wird von 1.500 auf 2.000 Euro pro Kind und Jahr ab 1. Juli 2022 angehoben.
Die gesamten Lohnnebenkosten sollen in Vollausbau der Steuerreform zu einer Entlastung des Faktors Arbeit um 4,7 Mrd. Euro und einer Senkung der Abgabenquote von 47,3 auf 46,2 Prozent führen, sagte Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP).
Unternehmen werden mittels Senkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 23 Prozent bis 2024 (ein Prozent 2023 und ein Prozent 2024) um bis zu 700 Mio. Euro entlastet. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) lobte das Projekt als "größte Entlastung der Geschichte." "Es ist ein Megaprojekt", so der Kanzler.
"Sie sehen es mir vielleicht an: Es waren lange Nächte. (...) Aber jede investierte Minute war es wert", so Gewessler. "Es ist von großer Bedeutung, was wir präsentieren." Das Steuersystem werde zu einem Hebel für den Klimaschutz. Wer sich bewusst entscheidet, dem Klima zu schaden, werde künftig einen Preis dafür zahlen, so die Ministerin.
In der Reform nicht enthalten ist die Abschaffung des Dieselprivilegs und die im Regierungsprogramm geplante Reform des Pendlerpauschale. Beides Punkte, die bei Umweltschutzorganisationen für Kritik sorgen.
📽️ Video | Zusammenfassung: Die Eckpfeiler der Steuerreform
LH Platter sieht „richtigen Weg", Opposition mit Kritik
Tirols Landeshauptmann Günther Platter lobte in einer ersten Stellungnahme am Sonntag die „mutige Steuerreform": „Mir war es wichtig, dass insbesondere die niedrigen und mittleren Einkommen entlastet und nicht weiter belastet werden, was mit der Reform gewährleistet ist. Eine stärkere Bepreisung von CO2 auf der einen Seite und ein regional abgestufter Klimabonus, der eine Entlastung für alle jene bringt, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, auf der anderen Seite sind der richtige Weg.“
Kein gutes Haar lässt die Opposition an der am Sonntag von der Regierung präsentierten Steuerreform. Für die FPÖ ist sie "eine reine Mogelpackung zulasten der Bevölkerung" und ein "Strafpaket für die österreichischen Steuerzahler". Auch die SPÖ findet, die Steuerreform sei "weder sozial noch ökologisch". Und für die NEOS ist es "nicht mehr als eine Umverteilungsreform".
Die Mehrkosten für Autofahren und Heizen würden mit dem angekündigten Klimabonus "mit Sicherheit nicht abgedeckt werden", glauben FPÖ-Chef Herbert Kickl und Budgetsprecher Hubert Fuchs. "Offensichtlich wollen Türkise und Grüne die Bürger mit dieser Mogelpackung für dumm verkaufen." Steuern würden das Klima nicht retten können, "sondern nur Anreize mit Hausverstand", kritisierten Kickl und Fuchs eine "Belastungsmaschinerie von ÖVP und Grünen".
"Die Konzerne und die Bauern können sich auf den Schutz des Spendenkanzlers verlassen. Warum die Grünen dabei mitmachen, ist freilich ein Rätsel", urteilte auch SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer eher harsch. Die Tarifsenkung gleiche gerade einmal die kalte Progression für zwei Jahre aus, das zahlten sich die Arbeitnehmer also selbst. Dass ÖVP und Grüne den sogenannten Agrardiesel wieder einführen wollen, sei "nicht ökologisch, sondern die altbekannte türkise Klientelpolitik".
NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger kritisierte, dass vor allem der Mittelstand bei dieser Reform "durch die Finger schaut". Der CO2-Preis habe in dieser Form keinerlei Lenkungseffekt sondern sei nur eine zusätzliche Steuer. Die Entlastung der Steuerzahler und - zahlerinnen gleiche nicht einmal die kalte Progression aus. Auch die Lohnnebenkostensenkung reicht für Meinl-Reisinger nicht aus. Insgesamt werde nur die Klientel zufrieden gestellt, die potenzielle Wähler seien.
NGOs kritisieren Reform scharf
Noch während noch die Pressekonferenz der Bundesregierung am Laufen war, haben sich auch bereits die ersten Nicht-Regierungsorganisationen zu Wort gemeldet – und Kritik geübt. Der WWF bewertet den Einstieg in die CO2-Bepreisung als wichtigen Schritt, fordert aber einen steileren Preispfad und einen größeren Öko-Bonus. Als „verheerendes Signal" sieht der WWF den erneut verschobenen Abbau umweltschädlicher Subventionen.
Auch dem VCÖ ist der CO2-Preis zu niedrig. Dies bedeute hohe Kosten für Allgemeinheit und künftige Generationen. Die Klimaschäden durch 1000 kg CO2 betragen laut Umweltbundesamt 201 Euro, erinnerte der VCÖ. Im Regierungspapier sind in einem ersten Schritt 30 Euro pro Tonne vorgesehen.
Greenpeace ortet einen viel zu niedrigen CO2-Preis ohne Lenkungseffekt und fordert ebenfalls das Ende klimaschädlicher Subventionen, wie etwa des Diesel-Privilegs. Die Regierung habe es bei der Steuerreform verabsäumt, Österreich auf Klimakurs zu bringen. „Es ist ein Armutszeugnis, dass es Österreich nicht gelingt, ein deutlich klimafreundlicheres Modell vorzulegen als etwa das konservative Deutschland", so Greenpeace.
Der ÖAMTC sprach heute von „Licht und Schatten". Positiv sei, dass jene, die auf das Auto angewiesen sind, eine stärkere Entlastung bekommen. Mit dem regionalen Klima-Bonus würden wichtige Entlastungsschritte vor allem für die Bevölkerung im ländlichen Raum gesetzt. Enttäuschend sei, dass die bereits vorhandene CO2-Besteuerung des Autos, beispielsweise jene der jüngsten NoVA-Novelle, nicht berücksichtigt wurde.
Scharfe Kritik kam von Attac. Die Steuerreform sei ein „Riesengeschenk für Besserverdienende, Konzerne und Vermögende". Die stufenweise Senkung der Körperschaftsteuer koste der Allgemeinheit rund 800 Mio. Euro, die Erhöhung des Familienbonus und die Senkung der mittleren Tarifstufen bei der Einkommenssteuer nutze vor allem Besserverdienenden.
Für GLOBAL 2000 ist der Einstieg in die CO2-Bepreisung in Österreich gut, aber zu zögerlich. Der Rechnungshof habe bereits gewarnt, dass Österreich bis zu 9 Mrd. Euro an Kompensationszahlungen leisten müsse, wenn die Klimaziele verfehlt werden. Die Initiatoren des Klimaschutzbegehrens sprachen von einem „Versagen auf ganzer Linie". Die Regierung habe eine „Greenwashing-Meisterleistung" geliefert. (APA, TT.com)
📽️ Video | Bundeskanzler Kurz bei der Pressekonferenz:
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📽️ Video | Arbeitsminister Kocher bei der Pressekonferenz: