Kalte Progression wird durch Steuerreform nicht zur Gänze abgegolten
Wien – Von der Lohnsteuersenkung und Erhöhung des Familienbonus profitieren vor allem Besserverdiener und Steuerzahler mit Kindern. Die kalte Progression, die in den vergangenen Jahren wirksam geworden ist, wird durch die Steuersenkung nicht zur Gänze abgegolten. Das ergeben Berechnungen des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria und das sozialliberalen Momentum Instituts. Laut Finanzministerium kommt es bei der kalten Progression auf den Betrachtungszeitraum an.
Bei der kalten Progression handelt es sich um eine – durch die progressive Besteuerung – entstehende Einkommensteuer- bzw. Lohnsteuer-Mehrbelastung. Sie entsteht über die Zeit, wenn die Steuerstufen nicht an die durchschnittliche Einkommens- und Inflationsentwicklung angepasst werden. Auch der Steuerfreibetrag bleibt gleich niedrig, während der Lohn steigt. Die kalte Progression entsteht in jedem progressiven Steuersystem, wenn dieses nicht an die Inflation angepasst wird. Ein Steuersystem wird progressiv genannt, wenn der Grenzsteuersatz höher ist als der Durchschnittssteuersatz.
Kinderlose stärker belastet als entlastet
Die neueste Steuerreform könne die kalte Progression seit der letzten Steuerreform (2016) nicht wettmachen – jedenfalls nicht für Kinderlose. Sie werden bis 2024 durch die kalte Progression stärker belastet, als sie durch die Steuerreform entlastet werden, rechnet Agenda Austria vor. Wer 3.500 Euro brutto im Monat verdient und keine Kinder hat, wird im Zeitraum zwischen 2016 bis 2024 trotz Senkung der Tarifstufen netto um mehr als 1.000 Euro belastet. Bereinigt um die kalte Progression zeigt sich, dass vor allem Lohnsteuerzahler mit Kindern von der Steuersenkung profitieren. Möglich wird das durch den Familienbonus, der die bis 2024 aufgestaute kalte Progression mehr als kompensiert, wie Berechnungen der Agenda Austria zeigen.
Die geplante Reform sieht eine stufenweise Senkung der Lohnsteuer vor: Die 2. Einkommensstufe wird von 35 auf 30 Prozent ab Juli 2022 gesenkt, die 3. Einkommensteuerstufe von 42 auf 40 Prozent ab Juli 2023. Der Familienbonus wird von 1.500 auf 2.000 Euro pro Kind und Jahr ab 1. Juli 2022 angehoben.
Agenda Austria: Wirkliche Steuerreform nur ohne kalte Progression
"Von einer wirklichen Steuerreform kann erst gesprochen werden, wenn die kalte Progression abgeschafft wurde", meint Agenda Austria-Direktor Franz Schellhorn. "Es ist enttäuschend, dass keine Regierung in Österreich den Mut findet, die Inflationsbesteuerung zu beenden. Aber es ist auch nicht überraschend. Denn damit werden die Bürger belastet, ohne dass diese etwas davon mitbekommen", so Schellhorn.
Auch das Momentum Institut hält fest, dass von einer tatsächlichen Entlastung nicht die Rede sein könne, denn rechnet man bis 2009 zurück, wurde die kalte Progression der letzten 12 Jahre nicht einmal vollständig abgegolten. Auch der entlastende Effekt der jetzigen Tarifsenkung wird bereits im Jahr 2026 wieder verpufft sein. Höhere Inflation und schnelleres Lohnwachstum lassen die kalte Progression in den kommenden Jahren umso stärker wirken.
Im Finanzministerium verwies man wiederum darauf, welchen Betrachtungszeitraum man vergleiche. "Seit 2017, also seit Sebastian Kurz Bundeskanzler ist, ist die Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger um ein Vielfaches höher als der Effekt der kalten Progression", hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Allein von 2017 bis 2025 würden die bereits gesetzten bzw. nun präsentierten Entlastungsmaßnahmen "mehr als das doppelte ausmachen. In Summe nämlich rund 40 Milliarden Euro."
Nur Unternehmen dauerhaft entlastet
Im Zeitraum bis 2028 betrachtet ergeben sich laut Momentum Institut für den Staat Mehreinnahmen in Höhe von 7,8 Mrd. Euro, während durch die Senkung der Körperschaftssteuer im gleichen Zeitraum 5,3 Mrd. Euro an Steuereinnahmen verloren gehen. "Die Senkung der Steuerstufen bei der Lohn- und Einkommenssteuer ist also eine temporäre Maßnahme, während Unternehmen durch die KÖSt-Senkung dauerhaft entlastet werden", kritisiert das Institut und rechnet zudem vor, dass von der Senkung der Steuersätze der zweiten und dritten Tarifstufe vor allem die obere Mittelschicht profitieren. Mit einem Einkommen von 2.100 Euro bekommt man 137 Euro pro Jahr mehr. Ab 6.000 Euro sind es dagegen jährlich 1.230 Euro mehr.
Das spiegle sich auch in der Verteilungsanalyse wider: Während im ersten Einkommensfünftel (niedrigste Einkommen) niemand von der geplanten Tarifsenkung profitiert, haben fast alle Menschen im obersten Einkommensfünftel nach der Reform mehr Geld zur Verfügung. Im zweiten Einkommensfünftel sind es 8,6 Prozent, die profitieren, im dritten 78,4 Prozent.
Die Senkung der Krankenversicherungsbeiträge, mit der kleine Einkommen entlastet werde, sei grundsätzlich eine effektive Maßnahme, gerade für kleine und mittlere Einkommen, so das Momentum Institut. Ein Ausgleich der Mindereinnahmen für die Sozialversicherung sei aber unbedingt nötig. (APA)