ÖVP-Affäre: Krise oder die Kunst des Ignorierens
Schüssel und Blümel versuchten über ÖVP-Affäre hinwegzureden – und erwähnten die Chats nicht.
Von Michael Sprenger
Wien – Die ÖVP befindet sich in der „schwersten Krise in ihrer Parteiengeschichte“. Dies konstatiert der Politikwissenschafter Fritz Plasser. Er war jahrelang Berater der ÖVP. Umso mehr möchte man meinen, dass diese Krise von Repräsentanten der Partei reflektiert wird. Weit gefehlt. Bislang nahm man die Opferrolle ein oder übte sich in Realitätsverweigerung. Eine dritte Variante wurde am Mittwoch zur Schau getragen – noch dazu im Schottenstift. Dort also, wo im April des Jahres 1945 die Volkspartei gegründet worden ist.
Geladen hatte Finanzminister Gernot Blümel in seiner Funktion als Wiener ÖVP-Chef. Als Gastredner wurde der frühere Parteiobmann und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel geladen. Er hielt zwar keine Rede, aber ein Gespräch mit Bettina Rausch, Präsidentin der Politischen Akademie der ÖVP.
Beide, Schüssel und Blümel, schafften es, die „schwerste Krise“ der Partei, in die diese durch das Verhalten des amtierenden Obmannes Sebastian Kurz und seiner Getreuen gestürzt worden ist, einfach zu ignorieren.
Da sprach Schüssel zwar über die Gefahren der „Verächtlichmachung der Politik“, erboste sich über den Hass – und meinte, dass eine „gute Politik“ zwangsläufig „gute Persönlichkeiten“ benötigt. Und ja, er sorgt sich um die Volksparteien. Da meinte er also Christdemokraten ebenso wie Sozialdemokraten. Volksparteien brauche es aber, weil sie „verschiedene Prioritäten in Balance bringen“. Eine kleine Spitze setzte er dann doch noch an die Gegner der ÖVP ab: „Die Chatprotokolle im Burgtheater sind eine Zumutung.“ Über den Inhalt der Chats, über die kriminelle Energie in Teilen seiner Partei: kein Wort.
Also kamen die Chats auch nicht in der „Wien-Rede“ Blümels vor. Er erwähnte nur kurz „politisch stürmische Zeiten“, nicht aber, wer den Sturm erzeugt hat. Stattdessen sagte er den 150 Zuhörern, wie er sich künftig die Politik für Wien vorstelle. Er ortet einen „demokratiepolitischen Pessimismus“. Dem wolle er entgegentreten. Und zwar damit, indem er in Wien der Mehrheit, und das sei der schweigende Mittelstand, eine Stimme gebe. Es könne nicht sein, dass die „Mehrheit das Gefühl bekommt, schlechte Menschen zu sein, weil sie nicht der Meinung einer Minderheit sind“. Er will jedenfalls noch länger in der Politik bleiben: „Um das Richtige zu tun.“