Der Haymon Verlag und der Kieselstein des Anstoßes
Der Innsbrucker Haymon Verlag will sich neu positionieren und hat sein Programm diverser gemacht. LeserInnen warnt er vor verstörenden Inhalten. Das gefällt nicht jedem.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – Man muss sehr genau hinschauen, um den Stein des Anstoßes überhaupt auszumachen. Besorgte Empörung gab es trotzdem. In einem offensichtlich an den Innsbrucker Haymon Verlag gerichteten offenen Brief orteten mehrere Interessenvertretungen – darunter die IG Autorinnen Autoren – „um sich greifenden Ungeist“ und „sich zur Hintertür hereinschleichende Zensur“. Literaturkritiker Klaus Nüchtern befürchtete Ähnliches: Haymon würde LeserInnen, aber auch Autorinnen und Autoren bevormunden und entmündigen, kommentierte er im Falter.
Was war passiert? Haymon hat einige seiner aktuellen Neuerscheinungen, Flurin Jeckers Roman „Ultraviolett“ zum Beispiel oder „Und immer wieder aufbrechen“ der südafrikanischen Autorin Sisonke Msimang, mit so genannten Triggerwarnungen versehen – mit knappen Hinweisen also, dass die Texte potenziell verstörende Inhalte behandeln. Im Fall von „Ultraviolett“ etwa wird vor Suizid gewarnt. Damit soll verhindert werden, dass mögliche Betroffene neuerlich traumatisiert werden. Dass Retraumatisierung durch fiktive Inhalte möglich ist, ist wissenschaftlich gut belegt. Bei Serien oder Filmen gibt es Triggerwarnungen seit Längerem. In der Literatur sind sie bislang selten. In den Haymon-Büchern finden sie sich im Kleingedruckten des Impressums. Wie gesagt: Will man sie nicht übersehen, muss man genau schauen.
„Wer darin eine Form der Entmündigung, Bevormundung oder gar Zensur sieht, muss sich fragen, ob er diese Begriffe richtig benutzt“, sagt Haymon-Verleger Markus Hatzer. Die Warnungen seien ein „harmloses Entgegenkommen für Betroffene“. „Wer die Hinweise braucht, sucht und findet sie. Leuten, die sie nicht brauchen, fallen sie gar nicht auf“, so der Verlags-Chef.
Sie habe mit Kritik gerechnet, sagt Haymon-Mitarbeiterin Katharina Schaller. Deren Schärfe habe sie allerdings irritiert – „auch weil vorab niemand bei uns oder den AutorInnen nachgefragt hat“.
Die harsche Ablehnung der Initiative erklärt Schaller mit einer gewissen „Behäbigkeit des Literaturbetriebs“. „Gerade auf gesellschaftspolitische Veränderungen reagiert die Branche sehr zögerlich“, sagt sie. Und: „Da geht es nicht zuletzt um die Angst, die eigene Deutungshoheit zu verlieren. Wenn die etablierten Machtverhältnisse zu bröckeln beginnen, wird besonders rabiat reagiert.“ Auch die Kritik an den Triggerwarnungen sei ein Beispiel dafür, ist sie überzeugt. Dabei seien die letztlich nichts anderes als eine etwas erweiterte Inhaltsangabe. Dem pflichtet auch Verleger Markus Hatzer bei – und unterstreicht: „Ich bin gern dazu bereit, Für und Wider von Triggerwarnungen zu diskutieren. Auch öffentlich. Aber die erste Reaktion der IG legt nahe, dass es kein Interesse an echter Auseinandersetzung gibt.“
Die mit den betroffenen Autorinnen und Autoren abgesprochene Einführung von Triggerwarnungen ist nur eine von zahlreichen Neuerungen, die sich der Haymon Verlag zuletzt verordnet hat. Das Innsbrucker Verlagshaus stand in den vergangenen Jahren nicht unbedingt im Verdacht, sonderlich experimentierfreudig zu sein. „Uns war klar, dass sich etwas ändern muss, wenn der Verlag auch in fünf oder zehn Jahren nicht nur irgendwie überleben will, sondern ein relevanter und auch ökonomisch erfolgreicher Literaturverlag bleiben soll“, sagt Markus Hatzer. Deshalb hätten sein Team und er zuletzt eine Neuorientierung forciert. „Aufgabe eines Verlags ist es, in die Gesellschaft hineinzuhorchen und abzubilden, was da ist. Seit Jahren ist bekannt, dass etwa drei Viertel der Bücher, die verlegt werden, von Männern stammen. Das bildet die Gesellschaft, in der wir leben, nicht ab. Deshalb müssen wir genauer hinschauen – und dürfen uns keine toten Winkel erlauben.“
Tatsächlich ist das aktuelle Haymon-Programm diverser und internationaler geworden. Auf Kosten der etablierten Haymon-Autoren soll diese Entwicklung nicht gehen. „Wir folgen damit keiner Mode“, stellt der Verleger klar, „sondern reagieren auf eine Schwachstelle, die es gab. Als Verlag ist es unsere Verantwortung, Stimmen, die bislang unterrepräsentiert waren, Raum zu geben.“ Thematische oder formale Vorgaben gebe es auf diesem Weg nicht, versichert Katharina Schaller, die für Haymon als Lektorin und Literaturscout arbeitet: „Das, was wir machen, ist das Gegenteil von Verengung oder Zensur. Vielmehr sind wir bemüht, die etablierte Enge aufzubrechen.“