G20 will sich zu ehrgeizigeren Klimazielen bekennen, Daten unklar
Die Bemühungen um ein „starkes G20-Signal" für die Weltklimakonferenz sind gescheitert. Obwohl die großen Wirtschaftsmächte für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, enttäuschen ihre Beschlüsse.
Rom – Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bekannten sich auf dem G20-Gipfel in Rom zu ehrgeizigeren Klimazielen. Das geht aus der Abschlusserklärung des Gipfels hervor, die betont, dass es von „zentraler Bedeutung ist, bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts weltweit Netto-Null-Treibhausgasemissionen oder Kohlenstoffneutralität zu erreichen". Die Staaten wollen sich zudem im Grundsatz hinter das 1,5-Grad-Ziel stellen. Die Nennung klarer Zieldaten blieb aber weitgehend aus.
In der Abschlusserklärung bekennen sich die G20-Staaten zum Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen – und betonen, das dafür mehr getan werden müsse. Allerdings gibt es keine Einigung mehr auf „sofortiges Handeln", wie es in einem anfänglichen Entwurf noch geheißen hatte. Jetzt ist weniger dringlich von „bedeutungsvollem und wirksamen Handeln" die Rede. Nur allgemein bekräftigt die G20, dass sie weiter den Zielen des Pariser Abkommens verpflichtet seien. Experten halten dafür aber eine deutliche Nachbesserung der Aktionspläne der einzelnen Länder für erforderlich.
Zudem hätte anfangs konkret das Jahr 2050 für „Netto-Null-Emissionen von Treibhausgasen oder Kohlendioxidneutralität" festgeschrieben werden sollen. Jetzt ist als Ziel nur noch allgemein von „bis oder um die Mitte des Jahrhunderts" die Rede. Damit ist gemeint, dass nur soviel Emissionen ausgestoßen werden wie auch gebunden werden kann. Der Rückzug erfolgte offenbar aus Rücksicht auf China und Russland, die das Ziel erst 2060 anstreben. Indien möchte sich nicht festlegen.
📽️ Video | G20: Keine konkreten Maßnahmen
Privatwirtschaft laut Prinz Charles in Klimakrise gewillt
Zu Beginn des zweiten Gipfeltages in Rom hat Prince Charles die G20-Spitzen im Kampf gegen den Klimawandel zu einer intensiveren Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft aufgefordert. „Die Zukunft der Menschheit und des Planeten steht auf dem Spiel", sagte der Brite Sonntagfrüh. Er habe in den letzten Monaten mit vielen Unternehmen gesprochen. „Was die mir sagen: Die private Wirtschaft ist schon da, gewillt zu arbeiten und eine wichtige und entscheidende Rolle zu spielen".
Ein erfolgreicher Kampf gegen die Erderwärmung koste Tausende Milliarden von Dollar jedes Jahr. „So viel Geld hat keine Regierung", unterstrich er. Von den Regierungen erwarten sich die Unternehmen klare Signale und Regeln, um die Motivation im Kampf für den Umweltschutz zu steigern. Außerdem seien international einheitliche Gesetze nötig, Ungleichheiten müssten beseitigt werden, forderte Charles auch im Hinblick auf die Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow. „Das ist buchstäblich unsere letzte Chance", mahnte der Thronfolger.
Keine Erwähnung des Kohleausstiegs
Ein Kohleausstieg wurde nicht direkt erwähnt. Auch die Zusage, die Investitionen in Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen, blieb wenig konkret. Sollte das ursprünglich „in den 2030er Jahren" geschehen, fehlte im Abschlusskommuniqué die Jahreszahl. Es wird jetzt „so schnell wie möglich" ins Auge gefasst. Damit könnte Rücksicht wieder auf China oder Indien genommen worden sein, die ihre Stromerzeugung stark auf Kohle stützen und dem Bedarf nur schwer nachkommen.
Ende des Jahres soll zumindest die internationale öffentliche Finanzierung neuer Kohlekraftwerke enden. Die G20 wollen Entwicklungsländern helfen, „so schnell wie möglich" aus der Kohletechnik auszusteigen. Die Staaten betonen zudem das Ziel, den Entwicklungsländern noch bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. In dieser Dekade müsse daran gearbeitet werden, die nationalen Klimaschutzziele anzuschärfen.
Ein Hinweis auf die „alarmierenden Berichte" des Weltklimarates, der vor den Gefahren der Erderwärmung gewarnt hatte, wurde im finalen Text mit „jüngste Berichte" abgeschwächt. Eine erste Formulierung, in den 2030er Jahren eine „weitgehend kohlendioxidfreie Stromversorgung" anzustreben, fehlt ebenfalls. Vielmehr wird allgemein der Wunsch geäußert, saubere Energien auszubauen.
Biden gibt China und Russland Schuld für vage Klimabeschlüsse
US-Präsident Joe Biden hat China und Russland die Schuld für die Enttäuschung vieler Klimaschützer über die Beschlüsse des G20-Gipfels gegeben. Die Enttäuschung habe damit zu, dass die beiden Länder keine Bereitschaft zu irgendwelchen Verpflichtungen in Sachen Klimaschutz gezeigt hätten, sagte Biden am Sonntag nach dem zweitägigen Gipfel in Rom. „Es gibt einen Grund für die Leute, enttäuscht zu sein. Ich fand das selbst enttäuschend."
Trotzdem habe die Gruppe der führenden Wirtschaftsmächte mit Blick auf die Klimakonferenz in Glasgow „deutliche Fortschritte" gemacht. Es müsse aber noch mehr passieren. Aber man müsse sich vor allem ansehen, „was China nicht macht, was Russland nicht macht und was Saudi-Arabien nicht macht".
Die G20-Chefunterhändler hatten die ganze Nacht über die Erklärung verhandelt. Die Klimadebatten im G20-Rahmen gelten als besonders schwierig, weil die Interessen in der Gruppe mit so unterschiedlichen Ländern wie Japan, China, den USA, Saudi-Arabien und den EU-Staaten sehr verschieden sind. Am Sonntag beginnt in Glasgow auch die Weltklimakonferenz. Etliche G20-Staaten wollen erst dort Zusagen über neue nationale Klimaziele machen.
In dem Klimateil der Gipfelerklärung versprechen die G20-Staaten aber zumindest, nationale Konjunktur- und Resilienzpläne aufzustellen, „die je nach den nationalen Gegebenheiten einen ehrgeizigen Anteil der Finanzmittel für die Abschwächung des Klimawandels und die Anpassung an ihn bereitstellen". Zu dem Maßnahmenmix soll neben Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen und innovative Technologien „gegebenenfalls auch die Nutzung von Mechanismen zur Bepreisung von Kohlenstoff" gehören.
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„Gutes Signal" für Glasgow, nicht bloß „Bla bla"
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vizekanzler – und voraussichtlicher Nachfolger – lobten die Beschlüsse als „gutes Signal" für Glasgow. „Man kann sehen, dass sich die Welt in die richtige Richtung bewegt", sagte Scholz, Merkel sprach zudem davon, dass die Einigung auf eine globale Mindeststeuer für Konzerne ein „Meilenstein" für die internationale Zusammenarbeit sei.
Auch der Gastgeber, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi, zeigte sich zufrieden: „Wir sind stolz auf dieses Ergebnis, aber wir müssen bedenken, dass dies erst der Anfang ist." Bei dem Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel und weiteren Klimaschutzmaßnahmen handle es sich nicht bloß um „Bla bla", beteuerte Draghi. Mit der Formulierung bezog sich Draghi auf die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die der internationalen Gemeinschaft im September jahrzehntelange Untätigkeit und „Bla bla" beim Klimaschutz vorgeworfen hatte.
UNO-Generalsekretär António Guterres zeigte sich dagegen enttäuscht: „Ich verlasse Rom mit unerfüllten Hoffnungen – aber wenigstens sind sie nicht beerdigt", schrieb Guterres am Sonntag auf Twitter. Nun gehe es bei der Weltklimakonferenz in Glasgow darum, das „1,5-Grad-Ziel am Leben zu halten".
Die G20 habe es versäumt, die Unzulänglichkeit ihrer Selbstverpflichtungen unter dem Pariser Abkommen anzuerkennen und sich zur „dringend notwendigen, sofortigen Nachbesserung" zu verpflichten, kritisierte auch Klimaexperte Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam. „Der G20-Gipfel hätte eine Steilvorlage für die UN-Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow werden müssen", sagte er. „Das ist nicht gelungen." So steuere die Welt derzeit auf eine katastrophale Erwärmung um 2,7 Grad zu, obwohl maximal 1,5 Grad als kritische Schwelle gilt. (APA/dpa/Reuters)
Gipfel ebnet Weg zu gerechterer Weltsteuerordnung
Im globalen Steuersystem bahnt sich eine kleine Revolution an: Für Großkonzerne soll ab 2023 eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent gelten. Diese Regelung soll Schluss machen mit der Praxis, dass sich Unternehmen wie große Digitalkonzerne vor Steuerzahlungen drücken, indem sie sich in Niedrigsteuerländern ansiedeln. Die G20-Chefs gaben am Wochenende auf ihrem Gipfel in Rom grünes Licht für die Umsetzung der Pläne, auf die sich die Finanzminister im Juli geeinigt hatten.
WARUM IST DIE REFORM NÖTIG?
Internationale Konzerne zahlen auf ihre Milliardengewinne bisher oft kaum Steuern, da zwischen einzelnen Ländern ein Wettbewerb entbrannt ist, wer mit möglichst unternehmensfreundlichen Steuersätzen Firmen anlockt.
In den Niedrigsteuerländern schlagen die Unternehmen dann ihre Zentralen auf - während sie in jenen Ländern, in denen sie die meisten Gewinne erzielen, nicht besteuert werden können. Die vier großen US-Digitalkonzerne Google, Amazon, Facebook und Apple etwa konnten so ihre Steuerlast enorm drücken. Dies wird weithin als unfair kritisiert.
WAS IST VORGESEHEN?
Die Neuregelung beruht auf zwei Säulen: Säule eins soll eine fairere Verteilung der Besteuerungsrechte der Staaten in Bezug auf die Gewinne großer multinationaler Konzerne sicherstellen – vor allem aus der Digitalwirtschaft. Dabei soll ein Teil der Rechte von den Ländern, in denen Unternehmen ihren Hauptsitz haben, auf diejenigen Staaten übergehen, auf deren Märkten sie ihre Gewinne erzielen. Die zweite Säule ist die globale Mindeststeuer, die bei „mindestens 15 Prozent" liegen soll.
STEIGEN DIE STEUEREINNAHMEN?
In vielen Ländern werden sie tatsächlich steigen. Profitieren dürften grundsätzlich größere Länder, da die Konzerne auf den dortigen Märkten viele Umsätze machen, ohne dort zwangsläufig ansässig zu sein. Einbußen könnte es vor allem in den Steueroasen geben, aber auch in Ländern wie den Niederlanden, Luxemburg oder der Schweiz.
WER UNTERSTÜTZT DAS VORHABEN?
Inzwischen haben 136 Länder ihre Bereitschaft zum Mitmachen erklärt. Sie stehen zusammen für mehr als 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Die G20-Gruppe, welche die Einführung der Mindeststeuer nun offiziell beschloss, umfasst die größten Industrie- und Schwellenländer der Welt.