Verflachte Lust, verfluchte Last: Adeles neues Album „30"
Es wird schon wieder: Auf ihrem neuen Album „30“ veredelt Megastar Adele Trennungsschmerz mit ausreichend Schmalz – und pfeift drauf.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – Offensichtlich gibt es viel über Adele Adkins zu erzählen. Das Internet und einschlägige Druckerzeugnisse jedenfalls sind reich an mehr oder weniger exklusiven Spekulationen über Zustand und Zeitvertreib der 33-jährigen Britin. Einige Geschichten sind harmloses Gewäsch, manche widern an. Die meisten variieren die märchenhafte Erzählung einer jungen Frau, die ihre bisweilen alles andere als angenehmen Erfahrungen mittels Jahrhundertstimme und dem Timbre einer durchs Leben geprügelten Soul-Seele in breiten Pop verwandelt. So breit, dass sich Formatradio und Feinspitze darauf einigen können. Kaum eine Musikerin war im 21. Jahrhundert erfolgreicher als Adele Adkins, die auf das Adkins schnell verzichten konnte. Wie Cher. Oder Madonna. Oder Beyonce. Adele eben.
Nun hat Adele ein neues Album veröffentlicht. Davor gab es eineinhalb Monate lang geheimniskrämerisches PR-Spektakel. Die Zahl 30 wurde aufs Kolosseum projiziert, an den Eiffelturm und an die Fassade des Buckingham-Palasts. Dass hinter der „30“ Adeles neue Platte steckt, war schnell klar. Gazetten forderten ihre geneigte Leserschaft trotzdem zum „Rätselraten um Adele“ auf. Trommeln gehört auch bei Sängerinnen zum Geschäft.
Seit gestern kann „30“ gekauft und gestreamt werden. Exegeten deuten es derzeit exzessiv aus. Immerhin soll Adele die Veröffentlichung der Platte mehrfach aufgeschoben haben, weil ihr das darauf Verhandelte näher ging, als es gesund sein kann. Denn „30“ ist – das machen die Texte einigermaßen unverblümt und nicht immer elegant klar – ein Scheidungsalbum. Adeles Ehe mit dem Unternehmer Simon Konecki ging 2019 in die Brüche. Davon singt sie: von der verfluchten Last verflachender Lust, von den Demütigungen eines zerbröselnden „Wirs“, vom „Ich“, das weitermachen muss, von Zorn und der Scham darüber, von Fluchtversuchen und Ablenkungsmanövern.
Raunzer können nun raunzen, dass sich das alles, dass sich Songs wie „Strangers By Nature“, „I Drink Wine“ oder – Klampfe hin oder her – „Woman Like Me“ sehr erwartbar und wenig überraschend sehr nach Adele anhören. Und Raunzer zweiter Ordnung dürfen mit Verweis auf die in Grund und Boden produzierte Autotune-Nummer „Cry Your Heart Out“, den feinen Up-Beat von „Oh My God“ oder das zunächst knarzig an Vorvorgestern gemahnende, dann von Trap-Beat begleitete „All Night Parking“ von ganz neuen Klangwelten sprechen, die Adele auf „30“ ausleuchtet.
Die Wahrheit liegt – wie meistens – irgendwo in der Mitte. Am besten ist das Album fraglos, wenn Adele mit raumfüllender Stimme Vokale dehnt: bei „Hold On“ zum Beispiel, einem Song, der sich neben dem Mätzchen, dass Adele zur Background-Sängerin ihrer selbst wird, auch noch einen Gospelchor leistet. Da geht der Schmerz auf ausreichend Schmalz. Auch wenn das Lied genau genommen ein bisschen arg nach Weihnachtswerbung von Coca-Cola klingt. Vielleicht sogar, weil es so klingt. Auch „To Be Loved“ ist großes Klangkino – irgendwo zwischen Freddie Mercury und der späten Judy Garland.
📽️ Video | „Hold On“:
Auf etwas unangenehme Art intim entfaltet sich indessen „My Little Love“, in das – laut PR-Handreichung – authentische Aufnahmen von Adele und ihrem neunjährigen Sohn aus den dunklen Stunden der Trennungszeit eingearbeitet wurden. Die machen die Nummer zwar zum bedrückenden Dokument, dass auch Megastars schwach, verletzlich, verkatert und etwas ratlos sind, ein schlüssiger Song wird deswegen aber nicht daraus.
Inzwischen – so scheint es jedenfalls – geht es Adele wieder besser. In „Can I Get It“ klingt gar die Absicht auf unverbindliches Dating an. Und auf bzw. über den Refrain wird gepfiffen: Es wird schon wieder.
🎵 Pop: Adele: 30. Columbia Records/Sony Music.