Porträt

Sebastian Kurz: Politischer „Wunderknabe“ geht in „Politpension“

Beim ÖVP-Parteitag im August wurde Kurz noch bejubelt.
© Martin Juen via www.imago-images.de

Sebastian Kurz zieht sich nach zehn Jahren aus der Politik zurück. Sollte sein Rücktritt tatsächlich ein Abschied für immer sein, geht damit eine erstaunliche Karriere zu Ende.

Wien – Beim Abgang bricht Sebastian Kurz noch einen Rekord. Der 35-Jährige ist nun auch der jüngste zurückgetretene ÖVP-Chef aller Zeiten. Zermürbt von den Ermittlungen der Justiz, frustriert vom erzwungenen Rückzug als Kanzler und belebt durch die Geburt seines Sohnes macht der einst als „Wunderknabe“ Gefeierte nach einem Jahrzehnt mit der Politik Schluss. Inwieweit er auch in der Privatwirtschaft reüssieren kann, wird mit Interesse verfolgt werden.

Sollte sein Rücktritt tatsächlich ein Abschied für immer sein, geht damit eine erstaunliche Karriere zu Ende. Kurz war beispielsweise jüngster Staatssekretär, jüngster Außenminister, jüngster ÖVP-Obmann, jüngster Regierungschef, aber auch jüngster Altkanzler. Gestolpert ist er letztlich über seinen effizienten, aber zumindest nicht eleganten, möglicherweise sogar strafrechtlich relevanten Weg zur Macht in seiner Partei, der einer ihm nicht unbedingt freundlich gesinnten Staatsanwaltschaft Munition lieferte.

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In zwei Causen beschuldigt

Was auch immer Kurz nun zu tun gedenkt, die Ermittlungen der Justiz werden seinen Weg in die Privatwirtschaft nicht unbedingt erleichtern. Gleich in zwei Causen wird er beschuldigt, in jener um getürkte Umfragen wegen Untreue, dazu gibt es noch die Ermittlungen wegen Falschaussage im U-Ausschuss.

Dass Kurz deswegen als Kanzler gehen musste, war den Grünen geschuldet, die um ihr Anti-Korruptionsimage besorgt waren. Wie viele Feinde sich der langjährige Wählermagnet bis dahin gemacht hatte, zeigte sich schon darin, dass alle anderen Parteien bereit gewesen wären, eine Zusammenarbeit über alle ideologischen Grenzen hinweg zu schmieden, nur um Kurz aus dem Amt zu bekommen. Wirklich wundern muss das nicht. Der SPÖ kündigte er dereinst die Koalition auf und der FPÖ ging es im Gefolge von Ibiza nicht besser und beide Male zahlte sich der Poker mit Platz eins bei der Neuwahl für Kurz aus. Alte Rechnungen waren also zu begleichen.

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Kurze Trotzphase

Die politische Trotzphase von Kurz dauerte deutlich kürzer als die von Christian Kern (SPÖ). Nur in der Parlamentsbank zu sitzen, wenn man schon einmal Kanzler war, gefällt nicht jedem. Zudem standen die Chancen, dereinst wieder auf den Ballhausplatz zurückzukehren, deutlich schlechter als nach seiner erstmaligen Abwahl. Selbst in der eigenen Partei war der Rückhalt teils sogar öffentlich gebröckelt.

Kurz ging es nicht anders als vielen anderen Politikern vor ihm. Ist der Erfolg weg, werden die Freunde rar und die dem Obmann zugedachte Macht besteht plötzlich nur noch am Papier. Es begann ja eigentlich auch gar nicht so vielversprechend in der Politik. In der JVP schickte man ihn dereinst sogar weg, weil man gar keine Mitstreiter suchte, ehe er es später dann doch zum Obmann der ÖVP-Jugendorganisation brachte, die dann als Basis für seine Karriere diente.

Mit „neuem Stil“ und Ungeduld an die Spitze

Auch sein Kabinettseintritt verlief nicht gerade triumphal. Von Michael Spindelegger 24-jährig ins Integrationsstaatssekretariat geholt, wurde Kurz teils weit unter der Gürtellinie mit Hohn überschüttet. Doch Kurz wusste zu überzeugen mit Sachlichkeit, Freundlichkeit und einem damals noch sehr liberalen Kurs. Wenig erwartet wurde er rasch zum Atout der Volkspartei und begab sich im Außenministerium quasi in die Warteposition für noch höhere Weihen.

Dass er ein wenig gar ungeduldig war, es an die Spitze zu schaffen, weiß man heute dank öffentlich gewordener Chats. Der darin angeschlagene Ton kontrastiert scharf zu dem „neuen Stil", den Kurz und sein ihm treu ergebenes Umfeld zur Erfolgsmasche machte. Sein Talent, Menschen mit Höflichkeit zu umgarnen, hatte damit an Gewicht verloren, die Sehnsucht nach einer Rückkehr Kurz' als Kanzler war in der Bevölkerung zuletzt kaum spürbar.

📍 Zur Person

Sebastian Kurz, geboren am 27. August 1986 in Wien. 2007-2012 Vorsitzender der Wiener JVP, 2009-2017 Obmann der Bundes-JVP. 2010-2011 Abgeordneter zum Wiener Landtag. Ab Juni 2011 Staatssekretär für Integration, ab Dezember 2013 Außen- und ab März 2014 Außen- und Integrationsminister. Seit Mai 2017 ÖVP-Obmann, von Dezember 2017 bis Mai 2019 und von Jänner 2020 bis Oktober 2021 Bundeskanzler.

Inhaltlich hat der scheidende ÖVP-Chef letztlich gar nicht so viele Spuren hinterlassen. In der Ausländerpolitik verpasste der selbst ernannte Schließer der Balkan-Route der größeren Regierungspartei einen noch strammeren Rechtskurs als schon vorher gepflegt. Von Türkis-Blau blieb nicht viel mehr an größeren Reformen als die Zusammenlegung der Krankenkassen. Dass er über die Koalition mit den Grünen letztlich einen Öko-Akzent setzte, war wohl eher strategischer als persönlicher Überzeugung geschuldet. Im Pandemie-Management war Kurz wie fast überall flexibel und wechselte geschmeidig zwischen Lockdowns und Laissez-faire.

Zukunft noch unklar

Jetzt geht Kurz, wohin, sagt er noch nicht. Abzuschließen wäre noch ein Jus-Studium, das seit vielen Jahren ruht. Auch die Familie wird rufen und der ein oder andere Tag mehr am Berg wird sich wohl auch ausgehen. Viel anderes an Privatem ist auch nach einem Jahrzehnt Kurz-Politik von deren Hauptdarsteller nicht bekannt. (APA)

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