Anhörung vor Supreme Court: Recht auf Abtreibung in den USA vor Aus
Auf dem Spiel stehen auch die Legitimität des US-Höchstgerichts und die Wahl 2022.
Von Floo Weißmann
Washington – In den USA steht das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung nach fast fünf Jahrzehnten vor dem Aus. Das ließ die konservative Mehrheit der Höchstrichter in einer Anhörung durchklingen. Das Urteil ergeht zwar erst im Sommer 2022, aber aus den Aussagen und Fragen der Richter lässt sich zumeist heraushören, wie sie denken.
1973 hatte das Gericht im Fall „Roe v. Wade“ entschieden, dass das Recht auf Abtreibung nicht eingeschränkt werden darf, bis der Fötus lebensfähig wäre – nach aktuellem Stand der Medizin etwa ab der 23. Woche. Seitdem betreiben Konservative die Umfärbung des Gerichts. Da der abgewählte Präsident Donald Trump drei Höchstrichter neu bestellen konnte, verfügen sie am Supreme Court nun über eine historische Mehrheit von sechs zu drei Stimmen.
Im Anlassfall geht es um ein Gesetz aus Mississippi, das Abtreibungen nur bis zur 15. Woche erlaubt – ein Verstoß gegen „Roe“. Der Bundesstaat räumte ein, dass das Gesetz als Vehikel dient, das Grundsatzurteil von 1973 zu kippen. Sollte das passieren, würden mehr als 20 konservativ regierte Bundesstaaten Abtreibung weitgehend verbieten.
Kulturkampf zwischen Konservativen und Liberalen
Das Thema steht in den USA seit Jahrzehnten im Zentrum des Kulturkampfs zwischen Konservativen und Liberalen. Gegner argumentieren – meist religiös motiviert – mit dem Recht des Kindes auf Leben.
Die Befürworter der Wahlfreiheit halten die Selbstbestimmung von Frauen dagegen. Vor dem Supreme Court sagte die Anwältin einer Abtreibungsklinik in Mississippi: „Wenn ein Staat die Kontrolle über den Körper einer Frau übernimmt und verlangt, dass sie Schwangerschaft und Geburt durchsteht, mit allen physischen Risiken und lebensverändernden Konsequenzen, die das bedeutet, dann ist das eine fundamentale Beraubung ihrer Freiheit.“
Je nach Fragestellung unterstützen 60 bis 80 Prozent der Amerikaner die Möglichkeit einer legalen Abtreibung. Auf dem Spiel steht damit auch die Legitimität des Supreme Court. „Wird diese Institution den Gestank überleben, den sie in der öffentlichen Wahrnehmung erzeugt, dass die Verfassung und ihre Auslegung nur politische Akte sind?“, warnte die liberale Höchstrichterin Sonia Sotomayor in der Anhörung.
Ein Triumph vor dem Supreme Court könnte die Republikaner zugleich im Kongresswahlkampf 2022 vor Probleme stellen. Jahrelang hatten sie selbst mit dem Thema Abtreibung ihre Klientel mobilisiert. Nun bereiten sich die Demokraten darauf vor, den Republikanern einen „Krieg gegen Frauen“ vorzuwerfen – und damit die zuletzt wahlentscheidende Gruppe der Mittelschicht-Frauen zu ködern.