Tirol

Tiroler Armutsforschungsforum: Immer öfter reicht das Geld nicht

„Auch in Tirol wird am Ende oft genug am Essen gespart“, sagt Studienleiter Wolfgang Exenberger.Symbolfoto: imago

Aufgrund der Pandemie leben vermehrt Menschen in prekären Verhältnissen. Eine Studie des Tiroler Armutsforschungsforums beleuchtet die vielen Facetten und Ursachen des Problems.

Von Benedikt Mair

Innsbruck – Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden – für Dinge des täglichen Bedarfs, die Miete und sogar Nahrungsmittel. Häufig muss jeder Euro zweimal umgedreht werden, wenn er überhaupt da ist. Durch die Pandemie und ihre Auswirkungen leben auch hierzulande immer mehr Menschen, besonders Frauen, in prekären Verhältnissen. Zu diesem Schluss kommt eine gestern präsentierte Studie des Tiroler Armutsforschungsforums. Das Problem hat zahlreiche Facetten, verschiedene Ursachen und schwerwiegende Folgen, sagen die Experten.

Dutzende Betroffene und Sozialarbeiter wurden befragt, eine Menge an Daten ausgewertet. Die Ergebnisse seien eindeutig, meint Andreas Exenberger vom Institut für Wirtschaftstheorie der Uni Innsbruck und Koordinator der in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen durchgeführten und vom Land Tirol finanzierten Erhebung: „Das Thema Armut ist ein oft übersehenes, aber es gibt genug Menschen, für die jede unerwartete Ausgabe eine Katastrophe bedeutet – etwa eine Waschmaschine.“ Viele könnten sich die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht mehr leisten, zögen sich daher weiter aus Freundes- oder Bekanntenkreisen zurück und verarmen dadurch sozial. „Und auch in Tirol wird am Ende oft genug am Essen gespart.“

Die Corona-Krise habe bereits bestehende Probleme – durch Kurzarbeit, Job-Verlust oder notwendige Kinderbetreuung durch das Distance Learning – weiter verschärft, erklärt Exenberger. Frauen, besonders alleinstehende mit Kindern, seien überproportinal häufig Opfer dieser Spiralen. „Außerdem wurde eine Bresche ins Bildungssystem geschlagen.“ Schüler aus Familien, die weniger Geld zur Verfügung haben, würden öfter den Anschluss verlieren. Ursula Costa von der Fachhochschule für Gesundheit Tirol sagt, dass „die Corona-Situation die Armutsbetroffenheit verstärkt hat. Das wirkt auf die Möglichkeit der Menschen, ihr Handungspotenzial in die Gesellschaft einzubringen.“ Und würde dazu führen, dass sie sich von dieser ausgeschlossen und benachteiligt fühlen, ergänzt Lukas Kerschbaumer vom Management Center Innsbruck (MCI). „Sie glauben, dass ein Kampf gegen Arme statt ein Kampf gegen die Armut geführt wird.“

Vielfach schämen sich Menschen für ihre finanzielle Not, besonders wenn sie ein erstes Mal in diese geraten. „Diese Scham verhindert, dass sie die Hilfe annehmen, die ihnen zusteht“, erklärt die zuständige Landesrätin Gabriele Fischer (Grüne). Um Unterstützung der öffentlichen Hand müsse aber niemand betteln. Sie, falls notwendig, zu erhalten, „ist ein Recht. Wir lassen niemanden zurück.“ Angebote gebe es genug – von der Mindestsicherung bis zur Delogierungsprävention.

Dass die Leute diese vermehrt in Anspruch nehmen, ist laut Andreas Exenberger noch nicht zu erkennen. „Aber das wird nur aufgeschoben. Die Menschen zehren von ihren Ersparnissen und Reserven oder machen Schulden. Es ist zu erwarten, dass die Zahl der Armutsbetroffenen in Tirol zunimmt und es an vielen Stellen Probleme geben wird“, sagt der Forscher. Hier gelte es rechtzeitig und zielgerichtet gegenzulenken.

Weitergeführt und ergänzt wird die Studie nun bis Februar 2022 und in den kommenden Jahren mit der sechsteiligen Workshop-Reihe „Armut aktuell“. Teilnehmen können daran neben Sozialarbeitern auch alle, die sich für das Thema interessieren.