Unterwegs in Jandls Sprachhöhle am Wiener Volkstheater
Regisseurin Claudia Bauer und dem großartigen Volkstheater-Ensemble gelingt mit „humanistää!“ eine bedrückende Ernst Jandl-Hommage.
Von Bernadette Lietzow
Wien – Mit „Danke, sonst geht’s“ beendet Ernst Jandl sein 1977 verfasstes Gedicht „von zeiten“, dessen mit „sein das heuten tag sein es ein scheißen tag“ beginnende Deklamation eines Unbehagens haarscharf in ein Heute sticht, das in Bälde den zweiten Jahrestag einer unsäglichen Pandemie begeht.
Diesen Text, in schillernder Sprach-Bildlichkeit, in „humanistää!“ einzuflechten, ist nur eine der vielen klug gewählten Einschlüsse dieses Theaterabends. Während am Ring noch das Finale einer Anti-Corona-Kundgebung wummert, hebt sich am Volkstheater der Vorhang zu einem Fest der sprachskeptischen Sprachkunst, die so schnörkellos-brutal wie ironisch-liebevoll wohl nur der große österreichische Dichter Ernst Jandl beherrschte. Willkommen im Guckkasten-kleinen Esszimmer, in dem „er“ und „sie“ aus Jandls Sprechoper „Aus der Fremde“ (1978), den Konjunktiv feiernd, eine „chronik der laufenden ereignislosigkeit“ erstellen, geprägt von einer Schaffenskrise, mit der „er“, der Schriftsteller, zu kämpfen hat.
Mit Maske und Perücke bewehrt multipliziert sich das Paar, das Jandl entlang seiner Lebenspartnerschaft mit der Schriftstellerin Friederike Mayröcker entworfen hat, durch immer neue Wiedergänger ihrer selbst. Claudia Bauer, die Regisseurin und auch „Choreografin“ dieser das „Sprech“-Theater weiter denkenden Produktion, hat mit den Darstellerinnen und Darstellern Slapstick-Elemente und vielerlei Fassetten von leicht abstrakter Körperlichkeit entwickelt, die gemeinsam mit dem vom Bühnenrand eingesprochenen, streng in kurze Einzelszenen zerhackten Stücktext eine große Eindringlichkeit ergeben.
Begleitet werden sie von der kongenialen, weil mit dem Geschehen verschmelzenden Bühnenmusik des Peer Baierlein, die keine Geringeren als der vielseitige Cellist Lukas Lauermann und der ebenso umtriebige Schlagwerker Igor Gross interpretieren.
Der Titel „humanistää!“ bezieht sich auf Jandls „Konversationsstück“ „die humanisten“ (1976) und fließt als überbordend komische Interpretation eines eitlen Streites zwischen einem Wissenschafter und einem Künstler durch Elias Eilinghoff und Julia Franz Richter in dieses Jandl-Hochamt ein, dem auch Evi Kehrstephan, Bettina Lieder, Hasti Molavian (Spiel und Opernstimme!), Uwe Rohbeck und Nick Romeo Reimann beeindruckend sprech-künstlerisch huldigen. Samouil Stoyanov schließlich schlüpft gewandt wie gewitzt in die Rolle des jungen Jandl während der NS-Zeit und lässt dessen „deutsches gedicht“ (1957) klirren. Tosender Applaus und eine unbedingte Empfehlung, sich am Volkstheater für zweieinviertel Stunden in Jandls Kosmos zu begeben.