Literatur

„Ende in Sicht“ von Ronja von Rönnes: Lebensmüdes Fallwild

„Ende in Sicht“ ist Ronja von Rönnes zweiter Roman. Die 30-jährige Kolumnistin startete ihre Karriere mit dem Blog „Sudelheft“.
© Djojan

„Ende in Sicht“: Ronja von Rönnes Roman über zwei Frauen, die ihr Leben beenden wollen.

Von Barbara Unterthurner

Innsbruck – Lebensmüde sind sie beide. Die 15-jährige Juli, die am Geländer einer Autobahnbrücke steht, und die 69-jährige Hella, die in ihrem klapprigen Passat gleich unter ihr durchdonnern wird. Zum Überqueren ist die Teenagerin im Kapuzenpulli aber nicht gekommen, sie will fallen, springen – einfach schnellstmöglich sterben. Auch für Hella kann es nicht schnell genug gehen mit dem endgültigen Ende, steuert die ausrangierte Schlagersängerin doch geradewegs Richtung Schweiz, wo sie die Ausfahrt Freitod nehmen will – nach einem Termin beim Friseur.

Doch beide Frauen gehen jetzt noch nicht drauf, nicht zu Beginn von „Ende in Sicht“, dem neuen Roman von Ronja von Rönne. Die Gründe dafür sind mitunter absurd. Julis Brücke, die normalerweise nur Getier quert, das nicht als so genanntes „Fallwild“ enden soll, ist schlichtweg zu niedrig. Später ist sie zu feige. Bei Hella ist es hingegen Juli, die dafür sorgt, dass Hella weiterlebt. Gleich zu Beginn steht fest: Diese Begegnung ist eine schicksalhafte. Auch wenn die beiden sich nicht ausstehen können, der Roadtrip beginnt.

Übrigens keine Reise in die (persönliche und/oder kollektive) Vergangenheit, wie zuletzt bei Bov Bjerg („Serpentinen“) oder Christian Kracht („Eurotrash“). Ronja von Rönne parkt in den dunklen Ecken der Seele. Schon im Erstling „Wir kommen“ wurden vier Protagonisten von Panikattacken und Neurosen geplagt. Von Rönne selbst weiß, wovon sie schreibt. Anfang 2019 begleitete sie ihre Selbsteinweisung in eine psychiatrische Klinik auf Social Media. Davor, Depressionen als Voraussetzung fürs Kunstmachen zu romantisieren, warnt sie heute. Und: Ihr aktueller Roman sei nicht wegen, sondern trotz ihrer Krankheit entstanden.

Richtig einfühlen ins seelische Befinden von Hella und Juli will sich die Erzählung jedenfalls nicht. Sie lernt, damit umzugehen. Anders als beim Debüt 2016 sind es dieses Mal der treibende Plot, die gänzlich unterschiedlichen Charaktere, ständig neue Umgebungen, ja, das Unterwegs-Sein, die den Roman vorantreiben. Dementsprechend flott ist das Ende des schmalen Bandes da. Beiseitelegen fällt allein aufgrund der melancholisch-grotesken Sprache schwer. Da wird schon mal penetrant über „obdachlose Worte“ nachgedacht, gern „laut geschwiegen“ – und an ein Leben erinnert, das stetig leiser wird. Ein „Decrescendo“, das sich schließlich „als Fade Out entpuppte“.

Beiläufig passiert auf dieser Reise also nichts. Das Ende fest im Blick steuert der Roman unterwegs aber an mehreren Enden vorbei. Gelohnt hat sich der wilde Trip allemal.

Roman Ronja von Rönne: Ende in Sicht. dtv, 256 Seiten, 22,95 Euro.

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