Gemeinsames Gedenken als Signal gegen die Spaltung in Reichenau
SPÖ- und ÖVP-Organisationen legten gestern erstmals gemeinsam Kränze beim Mahnmal für das Gestapo-Lager Reichenau nieder.
Von Michael Domanig
Innsbruck – Es war eine Premiere mit Symbolkraft: Anlässlich des „Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ legten der Bund der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen und die ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten gestern erstmals in einem gemeinsamen Akt Kränze beim Mahnmal für die Opfer des Innsbrucker Gestapo-Lagers Reichenau nieder.
Alle Redner hoben den Bezug zur Gegenwart hervor: Es gelte im Sinne einer aktiven Erinnerungspolitik dafür zu sorgen, dass aus einem „Niemals Vergessen“ ein „Nie Wieder“ werde, erklärte der Landesobmann der ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten, Clemens Hornich. Wenn der Holocaust „auf der Straße verharmlost“ werde, müsse man „aufstehen“, mahnte die Landesvorsitzende der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen, LA Elisabeth Fleischanderl – gegen Ausgrenzung, Antisemitismus und kollektive Schuldzuweisungen.
Auch ÖVP-Stadtparteiobmann GR Christoph Appler und SPÖ-Stadtparteivorsitzender GR Benjamin Plach meinten unisono, dass in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spaltung gemeinsames Gedenken ein besonders wichtiges Signal sei.
Immer weniger Zeitzeugen seien am Leben, sagte Günter Lieder, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg, umso mehr sei die Gesellschaft „aufgerufen, die Erinnerung aufrechtzuerhalten“.
Matthias Breit, Leiter des Gemeindemuseums Absam, der seit vielen Jahren für eine aktive Gedenkkultur in Tirol kämpft, machte ebenfalls klar, dass „der Standort, von dem aus die Geschichte befragt wird, immer die Gegenwart ist“ – und fand dabei äußerst kritische Worte: Bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen mitten in Innsbruck sei der Nazismus mit Parolen wie „Nürnberg 2.0“, „Impfen macht frei“ oder Vergleichen zwischen Gesundheitsminister Mückstein und Josef Mengele wiederholt „unübersehbar“ relativiert worden.
Und die Erinnerung an das Lager Reichenau verkomme und verschwinde „in der immer lauter werdenden Kulisse einer Mülltrennungsanlage“, kritisierte Breit. Damit verwies er einmal mehr auf den Standort des Mahnmals direkt neben dem Recyclinghof in der Roßaugasse – an einer stark befahrenen Straße, deren Lärm auch die Reden beim Gedenkakt massiv störte.
Hinzu komme, dass der 1972 angebrachte Gedenkstein „ziemlich sorglos“ mit der Vergangenheit des Lagers umgehe, ergänzte Breit. Dieses habe im NS-System verschiedenste Funktionen gehabt – als Haftlager für Widerstandskämpfer, Auffanglager für italienische Arbeiter, die zurück nach Italien flüchten wollten, als „Arbeitserziehungslager“ für Zwangsarbeiter, „Arbeitskräftereservoir“ für die lokale Wirtschaft und die Stadt, als Station bei der Deportation von Südtiroler Jüdinnen und Juden. Auf dem Gedenkstein würden die Inhaftierten, Malträtierten und Ermordeten aber „generös und kollektiv zu Patrioten verklärt“. Abschließend überraschte Breit die Anwesenden, indem er den Vorplatz des Mahnmals „illegal“ in „Elena de Salvo-Platz“ umbenannte – zur Erinnerung an ein 1943 sechs Jahre altes Mädchen aus Meran, das über das Lager Reichenau vermutlich nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet wurde.
Laut Irene Heisz (SPÖ), Obfrau des städtischen Kulturausschusses, arbeitet eine mit namhaften ExpertInnen besetzte, im Spätherbst formierte Kommission intensiv daran, wie das Gedenken an das Lager Reichenau neu kontextualisiert werden kann.
LH Günther Platter (ÖVP) knüpfte auf Facebook gestern an die weltweite Kampagne #WeRemember zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus an, die sich auch gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus richte: Es gelte „solche Entwicklungen wachsam im Auge zu behalten und nie zu vergessen, was damals geschehen ist“.