„Tod auf dem Nil“: Lesesessel-Abenteuer fürs Kino
Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh inszeniert seine Version von „Tod auf dem Nil“ klassisch-sonnig und etwas zu prachtvoll.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck – Von Istanbul nach Aswan sind es nur 2000 km Luftlinie. Vom „Mord im Orientexpress“ zum „Tod auf dem Nil“ hat Kenneth Branagh dennoch fast fünf Jahre gebraucht. Wobei die zweite Agatha-Christie-Verfilmung des Briten schon längere Zeit kinofertig im pandemischen Warteraum verbracht hat und mehrfach verschoben wurde.
Auch wenn das altbekannte Lesesessel-Abenteuer kriminalistisch-minimalistisch vonstattengeht: Sinn macht das Warten auf die große Leinwand insofern, als dass es Branagh erneut auf eine ausgesprochen bildgewaltige Adaption des bereits 1978 mit Peter Ustinov prominent verfilmten Stoffes anlegt.
Branaghs „Tod“ ist auf analogem Breitbild-Material gedreht (und wird im März auch in Innsbruck in einer 70-mm-Kopie präsentiert). Große bunte Vistas vom titelgebenden Fluss, computergenerierte Tiere und der Kreuzfahrt-Dampfer S.S. Karnak als Handlungsort fühlen sich allesamt nicht nach Studio-Theater an.
🎬 Trailer | „Tod auf dem Nil“
Auch die Schauspielenden haben Kinoformat. Branagh selbst schlüpft wieder in seine vielfach gelobte und geschmähte Hercule-Poirot-Rolle. Diesmal gönnt er seinem belgischen Meisterdetektiv einen ausführlichen Prolog in den dreckig-grauen Schützengräben des Ersten Weltkriegs und im Lazarett. Der berühmte Zwirbel-Schnurrbart soll die Gesichtsnarben des verwundeten messerscharfen Denkers verbergen. Ein mutiger Auftakt als Kontrast zur sonnig-bunten Ägypten-Szenerie der Haupthandlung.
Die dreht sich um die junge Millionärin Linnet Ridgeway (Gal Gadot). Frisch verheiratet mit dem Feschak Simon Doyle (Armie Hammer), werden die beiden auf ihrer Hochzeitsreise von dessen ehemaliger Verlobter Jacqueline de Bellefort (großartig böse: Emma Mackey) verfolgt. In Ermangelung eines Stalking-Paragraphen soll Poirot die Angelegenheit auflösen. Doch bald – Agatha-Christie-Lesende werden sich erinnern – reißt ein erstes Mordopfer den Detektiv aus der Urlaubsruhe.
Die überkonstruierte Geschichte und ihr simples Personal, unaufgeregt entstaubt vom britisch-kolonialistischen, rassistischen Erbe, ist gewohnt verzwickt und gespickt mit Geheimnissen. Vom Anwalts-Cousin bis zur kommunistischen Tante, vom verflossenen Arzt bis zur Dienerin, von der Krankenschwester und heimlichen Freundin bis zur Klassenkameradin. Poirot durchschaut sie alle mit ihren mörderischen Kammerspielchen.
Der Reiz des begrenzten Raumes – diesmal auf dem Kreuzfahrtschiff statt im Orientexpress – entfaltet seine wendungsreiche Wirkung über 127 Minuten. Dennoch verläuft sich Regisseur und Hauptdarsteller Branagh auch immer wieder auf einigen allzu prachtvollen Gemeinplätzen. Anders als Rian Johnson mit seinem Überraschungserfolg „Knives Out“ gelingt ihm also wieder keine erfrischende Neuerfindung des Kammerspielkrimi-Genres. Unterhaltsam ist sein sattes ägyptisches Cluedo-Spiel aber allemal.
Tod auf dem Nil läuft ab dieser Woche in den Kinos.