Liebe auf den ersten Biss

Das Tinder der Aromen: Was es mit dem Kochtrend „Food Pairing" auf sich hat

Der Trend geht zum Experiment: „Food Pairing" geht aber weit über das traditionelle Verbinden von süß und sauer hinaus.
© MEDITERRANEAN

Schokomousse mit Zwiebeln, Erdbeeren und Lammfleisch oder Tomaten auf Vanille? Klingt auf den ersten Blick komisch – auf den ersten Biss ist es aber ein perfektes Geschmackserlebnis. Aromen ungewöhnlich zu kombinieren ist dank „Food Pairing" in aller Munde. Wir erklären die Wissenschaft des guten Geschmacks nicht nur in der Theorie.

Von Tamara Stocker

Innsbruck – Wer im Tinderzeitalter auf Partnersuche geht, kommt am Ausdruck „das perfekte Match finden" nicht vorbei. Gemeint ist eine Person, die wie geschaffen für einen scheint und eben genau zu einem passt. Bevor man so jemanden findet, muss man aber oftmals ein bisserl „herumprobieren" – und sollte sich nicht immer vom ersten Eindruck täuschen lassen.

So verhält es sich nämlich auch beim Kochtrend „Food Pairing". Hier treffen sich Zutaten auf den Tellern, bei denen wir erst einmal skeptisch die Stirn runzeln: Schokolade und Karfiol, Tomaten und Vanille oder Kaffee und Avocado. Auf den ersten Biss wird unser Gaumen jedoch positiv überrascht, denn die ungewöhnlichen Kombinationen von Lebensmitteln öffnen ganz neue Geschmackswelten.

Per se ist das Ausprobieren beim Kochen natürlich kein neues Phänomen. Das Food Pairing unterscheidet sich jedoch grundlegend von dem intuitiven Mischen von Geschmäckern und Aromen – denn es wird nicht einfach blind darauf los experimentiert, sondern auf wissenschaftlicher Basis vorgegangen. „Es geht darum herauszufinden, welche Aromen sich gegenseitig ergänzen und durch ihre Paarung ein harmonisches Ganzes ergeben", erklärt der Stuttgarter Koch und Foodblogger Toni Schreiner. „Angefangen hat das mit der Molekularküche. Food-Pairing setzt das im Prinzip nur fort." Es ist also viel mehr ein Spiel mit den Aromen, eine Art molekulares Matchmaking. Was das genau heißt, erklären wir im Folgenden:

🧬 Was ist das Prinzip?

Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Lebensmittel besonders gut harmonieren, wenn sie die gleiche Hauptaroma-Komponente, also eine ähnliche Molekül-Struktur besitzen. Die Chemie stimmt demnach, wenn sich die Inhaltsstoffe der Lebensmittel sehr ähnlich oder gleich sind. Denn jedes Lebensmittel enthält eine Geschmacksstruktur, die unterschiedliche Aromen in bestimmten Konzentrationen aufweist. Die „Aromen-DNA" der einzelnen Lebensmittel wird beim Food Pairing miteinander abgeglichen. Je mehr aromatische Parallelen zwischen zwei Lebensmitteln bestehen, desto besser harmonieren die Lebensmittel zu einem Gericht. Darum klingen Kombinationen wie Schokolade und Zwiebeln oder Lachs und Lakritze erst einmal komisch, passen aber chemisch und kulinarisch gesehen perfekt zusammen.

🍒🍉🍅 Food Pairing: Beispiele

  • Paprika mit Mango, Litchi oder Aprikose, Koriander, Zitronengras, Ingwer oder Minze, Pistazien, Fenchel, Spinat, Karotten und Tomaten
  • Melone mit Gurke, Fenchel oder Tomate, Blutorange, Mango, Erdbeere, Kiwi und Apfel, mit Vanille, Kardamom, Minze, Basilikum oder Koriander, Erdnüssen oder Cashewkernen
  • Tomate mit Kiwi, Veilchen, Darjeeling Tee oder Sojasauce
  • Kirsche mit Rhabarber, Pflaume und Banane, Aubergine, Rote Bete, Karfiol, Zwiebeln und Kren, Pfefferminze, Anis, Zimt und Pfeffer, Pistazie, Haselnuss, Mandel, Macadamia, Erdnuss, Kokosnuss, Milchprodukten und Kaffee, Quinoa und Balsamico, Schwein, Speck, Wild, Lamm und Geflügel
  • Grünkohl mit Apfel, Zitrone, Weißkohl und Paprika, Ingwer, Thymian, Oregano und Chili, Kürbiskernen, Walnüssen oder Haselnüssen
  • Heidelbeeren mit Avocado, Rucola, Pfirsich oder Karotten, Zimt, Vanille, Ingwer oder Koriander, Kokosraspeln, Mohn, Mandeln oder Pinienkernen
  • Schokolade mit Kaffee, Banane, Feige, Muskat, Chili
  • Karotten mit Sesam, Petersilie, Litchi und Pfirsich
  • Rote Bete mit Maronen, Blaubeeren, Haselnüssen oder Balsamico-Essig

👃🏼👅 Welche Rolle spielen unsere Sinne?

Damit wir diese Kombination als besonders schmackhaft erleben, spielen nicht nur die verschiedenen Geschmacksknospen auf der Zunge eine entscheidende Rolle. Auch ein feines Näschen ist hierbei von großer Bedeutung. Während die Zunge lediglich fünf verschiedene Geschmacksrichtungen unterscheiden kann (süß, salzig, bitter, sauer und umami), differenziert die Nase viel feiner. Die 20 bis 30 Millionen Riechzellen in der Nase nehmen Aromamoleküle beim Essen auf und beeinflussen so unser Geschmackserlebnis.

💡 Schon gewusst?

Wenn man sich beim Verkosten die Nase zuhält, lassen sich die reinen Grundgeschmacksrichtungen in einer Speise erkennen. Die Reize scharf, heiß, kalt, beißend, prickelnd und adstringierend sind im Übrigen gar kein Geschmacksreiz: Hierbei werden die Schmerzrezeptoren gereizt. Die Signale dieses Trigeminusnervs tragen ebenfalls zum Genuss bei.

🤔 Was genau sind Aromastoffe?

Aromastoffe sind chemische Verbindungen, die mitverantwortlich dafür sind, ob uns etwas schmeckt oder nicht. Schokolade und Blauschimmelkäse teilen beispielsweise 73 (u.a. 2-Methyl-3-Methyldithiofuran), Kaffee und Rind kommen auf 102 gemeinsame Aromastoffe. Insgesamt gibt es mehr als 10.000 Aromen – und damit Millionen und Abermillionen von Kombinationsmöglichkeiten. Allein die Erdbeere hat 400 Aromen.

Zu den insgesamt sieben Aromagruppen des „Food Pairing" zählen unter anderem Vanille und rauchig, holzig und herb, frisch und blumig oder Zitrus und kräuterig.

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🔎 Wo finde ich die passenden Kombinationen?

Es gibt opulente Datenbanken, in denen Sterneköche wie Wissenschafter zahllose Aromamoleküle zusammentragen. Daraus entstanden sogenannte „Food Pairing Trees“ aus denen die Aromen einer Zutat hervorgehen, diese sind zuhauf in Form von Tabellen oder Grafiken im Internet zu finden. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Bücher zu kaufen, in denen solche Kombinationen aufgelistet sind.

🖥️📚 Die Aromenbibliothek

  • Wer selbst experimentieren möchte, der kann die Datenbank foodpairing.com besuchen. Hier finden sich neben Food Pairings Trees, also Diagrammen, die Kombinationsmöglichkeiten von Lebensmitteln aufzeigen, auch Rezepte und Kochtipps. Da sich die Webseite vor allem an Kochprofis und Barkeeper richtet, ist ein großer Teil kostenpflichtig. Für den Hausgebrauch der Hobbyköche bietet allerdings auch schon der Gratis-Teil ausreichend Infos und Anregungen.
  • Auch der Blick ins Bücherregal lohnt sich, wir empfehlen: „Die Kunst des Foodpairing" von Peter Coucquyt, Bernard Lahousse und Johan Langenbick // „Aromen – das Kochbuch" von Heiko Antoniewicz // „Das Lexikon der Aromen- und Geschmackskombinationen" von K. Page & A. Dornenburg // „Aroma. Die Kunst des Würzens" von Thomas Vilgis und Thomas Vierich.

👨🏻‍🔬 Wer hat's erfunden?

Der britische Drei-Sterne-Koch Heston Blumentahl und der französische Parfumeur François Benzi. Im Jahr 1992 trafen die beiden Experimentierfreudigen aufeinander. Zusammen entwickelten sie verrückte Kreationen wie Leberpastete mit Jasminblüten oder Schokomuffins mit Blauschimmelkäse. So fanden sie heraus, dass sich vor allem Lebensmittel mit gleichen Hauptaromakomponenten besonders gut geschmacklich kombinieren lassen.

💡 Schon gewusst?

Heston Blumenthals preisgekröntes Restaurant „The Fat Duck“ im südenglischen Bray ist alles außer gewöhnlich. Wer hier zu Gast ist, mag bei einem Blick auf die Speisekarte vorerst die Nase rümpfen – doch für Kreationen wie Schokofondant mit einem Kern aus Blauschimmelkäse oder zu Kaviar auf weißer Schokolade ist das mit drei Michelinsternen ausgezeichnete Restaurant weltberühmt.

👩🏼‍🍳👨🏼‍🍳 Rezepte zum Nachkochen

➤ 🍆 Aubergine mit Ziegenfrischkäse und Granatapfel

Für diese Aroma-Kombi werden Auberginen in dünne Scheiben geschnitten und mit Ziegenfrischkäse bestrichen. Anschließend werden klein gehackte Schalotten und etwas Schnittlauch darüber gegeben. Zum Schluss streut man Granatapfelkerne über das Ganze und erhitzt es für circa 20 Minuten bei 200 Grad im Ofen.

➤ 🥕 Karotten mit Zitrone und Lorbeer

Die Karotten werden bissfest gegart und anschließend in etwas Butter geschwenkt. Nun gibt man ein wenig abgeriebene Zitronenschale sowie einige Spritzer Zitronensaft hinzu. Gut verrühren und dann ein paar getrocknete Lorbeerblätter ins Gemüse geben.

Tipp: Die Kombination aus Karotten, Zitrone und Lorbeer eignet sich auch perfekt für eine Lamm-Tajine mit getrockneten Pflaumen oder in einem Linseneintopf.

➤ 🦐 Garnelen mit Zimt und Vanille

Die Garnelen werden mit etwas Knoblauch und Chili in Pflanzenöl angebraten. Sobald sie gar sind, gibt man Salz und Pfeffer sowie eine Prise Zimt und das Mark einer Vanilleschote hinzu.

Tipp: Vor allem zu Pasta schmeckt diese Food Pairing Kombination herrlich.

➤ 🥦 Karfiol mit Kakao

Als Beilage zu einem Fleischgericht oder als vegetarischer Hauptgang: Dafür einfach den Karfiol wie gewohnt in Salzwasser kochen, anschließend kurz in Butter anbraten und mit ungezuckertem Kakaopulver bestreuen.

Tipp: Wer es etwas süßer mag, mischt eine Prise Puderzucker in den Kakao.

🍿 Steak mit Popcorn

Das Rindersteak in circa zwei bis drei Zentimeter dicke Scheiben schneiden, von beiden Seiten kurz anbraten und für circa 20 Minuten bei 100 Grad im Ofen nachgaren lassen. Währenddessen 50 Gramm Zucker bei mittlerer Hitze in einer Pfanne schmelzen, anschließend mit Sahne ablöschen, kurz aufkochen und einköcheln lassen. Dann entweder in der Mikrowelle oder in einem Topf mit heißem Öl Popcorn machen. Alles zusammen auf einem Teller anrichten.

Tipp: Wer noch eine Geschmacksnote hinzugeben will, richtet noch einen Kräutertopfen an.

➤ 🥭 Mozzarella mit Mango und Walnüssen

Erfrischender Snack im Sommer: Dafür wird Mozzarella und Mango in Scheiben geschnitten und wechselnd auf einem Teller verteilt. Nun hackt man ein paar Walnüsse klein, streut sie über den Teller und gibt anschließend ein paar Tropfen Olivenöl, etwas Pfeffer und Salz sowie ein paar Korianderblätter darüber.

➤ 🐟 Caviar mit weisser Schokolade

Als Appetizer oder kleine Vorspeise: Einfach weiße Schokoladenkuvertüre schmelzen und zu kleinen Talern verarbeiten. Anschließend eine Teelöffelspitze Caviar darauf gegeben. Et voilà!

Tipp: Auch noch lecker: Austern mit Passionsfrucht

➤ 🍕 Pizza mit Pfirsich und Camembert

Hier wird Pizzateig mit Tomatensauce bestrichen und mit Pfirsichscheiben und Camembert belegt. Zum Schluss mit etwas getrocknetem Thymian bestreuen und im Ofen backen.

➤ 🧅 Schokomousse mit Zwiebeln

Für Mutige: Dieses Food Pairing Rezept klingt ungewöhnlich, schmeckt aber himmlisch. Dafür bereitet man zunächst eine Mousse au chocolat nach einem Rezept seiner Wahl her. Anschließend brät man klein geschnittene Zwiebeln in einer Pfanne mit etwas neutralem Öl an, lässt diese auskühlen und gibt sie über das Schokomousse.

➤ 🍎 Apfel-Gurken-Drink

Food Pairing funktioniert auch im Glas. Dafür schneidet man 200 Gramm Äpfel und eine Gurke klein und gibt das Ganze mit etwas Minze, einem Schuss Wasser, einem Spritzer Zitronensaft und ein paar Basilikumblättern in den Mixer. Fertig ist der sommerliche Frische-Drink.

➤ 🥔 Kartoffelpüree mit Aprikosen

Eine eher mutige Kombination, die sich aber lohnt, einmal auszuprobieren. Einfach wie gewohnt das Püree zubereiten und es mit Aprikosenmarmelade darüber servieren.

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