Ukraine-Konflikt

Gespräche zu Ukraine: Biden und Macron drängen Putin zu Deeskalation

US-Präsident Joe Biden (li.) und der russische Staatschef Wladimir Putin wollen an diesem Samstag telefonieren.
© MIKHAIL METZEL

Nonstop-Telefon-Diplomatie: Staats- und Regierungschefs aus den USA und Europa verbringen am Samstag Stunden in Telefonaten - auch direkt mit Russlands Präsident Putin, um die Ukraine-Krise zu entschärfen. Ein Durchbruch bleibt aus. Ist eine Eskalation noch abzuwenden?

Washington – US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron haben in direkten Gesprächen mit Russlands Präsident Wladimir Putin erneut versucht, eine Eskalation im Ukraine-Konflikt abzuwenden. Die beiden telefonierten am Samstag nacheinander mit dem Kremlchef. Biden warnte Putin laut Weißem Haus eindringlich vor einer Invasion der Ukraine und drohte einmal mehr mit schwerwiegenden Konsequenzen. Moskau wies die US-Warnungen vor einem russischen Angriff die Ukraine scharf zurück und sprach von provokativen Spekulationen und Hysterie. In Europa wächst dennoch die Sorge vor einer Eskalation. Mehrere Staaten, darunter Deutschland, riefen ihre Bürger zur Ausreise aus der Ukraine auf.

Angesichts des Aufmarschs Zehntausender russischer Soldaten an der Grenze zur Ukraine wird befürchtet, dass der Kreml eine Invasion des Nachbarlandes plant. Moskau bestreitet das seit Wochen vehement. Für möglich gehalten wird auch, dass der Kreml eine Drohkulisse aufbauen will, um eigene Sicherheitsforderungen durchzusetzen. Moskau verlangt etwa ein Ende der Nato-Osterweiterung und einen Verzicht auf eine mögliche Aufnahme der Ukraine in das westliche Militärbündnis.

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Nach Angaben des Weißen Hauses betonte Biden in dem Telefonat mit Putin, eine Invasion würde großes menschliches Leid verursachen und das Ansehen Russlands schmälern. Die Folge wäre eine entschlossene Reaktion der USA und ihrer Verbündeten, was schwere Konsequenzen für Moskau hätte. Die USA seien weiter bereit zu diplomatischen Gesprächen, aber ebenso auf andere Szenarien vorbereitet.

Putin beklagte in dem Gespräch mit Biden laut Kreml, dass westliche Staaten nicht den nötigen Druck auf die Ukraine ausübten, damit diese ihre Verpflichtungen erfülle. Putins außenpolitischer Berater, Juri Uschakow, sagte der Staatsagentur Tass zufolge, die US-Warnungen vor einem Angriff Russlands auf die Ukraine seien Hysterie. Dennoch sei das Gespräch ziemlich ausgewogen und sachlich gewesen.

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Ein ranghoher Mitarbeiter der US-Regierung sagte, die Dynamik der vergangenen Wochen habe sich durch das Telefonat nicht grundsätzlich geändert. Die US-Seite habe Ideen auf den Tisch gelegt mit Blick auf die Sicherheit in Europa, die auch einige Bedenken Moskaus berücksichtigten. Konkreter wurde er nicht. Uschakow sagte, Putin habe zugesichert, Bidens Ausführungen hierzu zu prüfen. Zugleich sei bereits klar, dass zentrale Forderungen Moskaus nicht erfüllt würden.

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Die USA rüsten ihre Truppen in Polen auf.
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Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte am Freitag erklärt, dass die USA eine russische Invasion der Ukraine noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich halten – also schon in der kommenden Woche. Die New York Times schrieb, die USA hätten Geheimdienstinformationen, wonach Russland den kommenden Mittwoch (16. Februar) als Zieldatum für eine Militäraktion diskutiere. Es könne aber auch sein, dass dieses Datum Teil einer Desinformationskampagne Russlands sei.

Russland sieht Kriegsgefahr von der Ukraine

Moskau wies die Warnungen der Amerikaner auf allen Kanälen zurück. Im Telefonat mit Macron habe Putin die Situation im Zusammenhang mit provokativen Spekulationen über eine angeblich geplante russische Invasion der Ukraine zur Sprache gebracht, teilte der Kreml mit. Außenminister Sergej Lawrow warf den USA eine Propaganda-Kampagne mit provokativen Zielen vor. Der russische Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, beklagte Alarmismus ohne Beweise.

Anders als der Westen sieht Russland eine Kriegsgefahr eher von ukrainischer Seite und befürchtet, dass diese versuchen könnte, abtrünnige Gebiete in der Ostukraine mit Gewalt zurückzuholen. Der Kreml kritisierte, dass die Ukraine vom Westen mit modernen Waffen und Munition aufgerüstet werde. Dies könne Kiew zu einer Militäroffensive in der Ostukraine ermuntern. Der Kreml beklagte, die Bemühungen um eine Lösung der Krise seien in einer Sackgasse.

Diese gingen am Samstag auch auf anderen Ebenen weiter. Macron telefonierte laut Élyséekreisen auch mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), der am Dienstag zu Gesprächen nach Moskau reisen will. Macron sprach telefonisch außerdem mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und wollte am Abend auch noch mit Biden reden.

Schallenberg telefonierte mit Kuleba

Vor dem Hintergrund einer möglichen militärischen Eskalation im Osten Europas hat Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Samstagabend in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba die aktuelle Sicherheitslage der Ukraine besprochen. Dies teilte Kuleba via Twitter mit. Der ukrainische Außenminister hatte er am Samstag zuvor auch mit den Außenministern der Türkei und der Republik Moldau telefoniert.

"Wir diskutierten die aktiven Bemühungen der EU sowie einer breiten internationalen Koalition zum Schutz der Ukraine und zur Verhinderung einer weiteren Aggression durch Russland", schrieb Kuleba. Man sei übereinkommen, sich weiterhin eng zu koordinieren, erklärte er. Ebenso via Twitter dankte der österreichische Außenminister seinem Kollegen für "eine fortlaufende und enge Zusammenarbeit im Interesse der Souveränität, Unabhängigkeit sowie territorialen Integrität der Ukraine". Schallenberg war erst am Dienstag in Kiew gewesen, wo er gemeinsam mit dem slowakischen und tschechischen Außenminister auch Kuleba sowie Präsident Wolodymyr Selenskyj getroffen hatte.

Selenskij zeigte sich angesichts der alarmierenden Äußerungen aus Washington irritiert und wertete diese als wenig hilfreich. Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information, sagte er. Kiew sei sich bewusst, dass es Risiken gebe. Dennoch gebe es im öffentlichen Raum zu viele Berichte über einen großen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Land, sagte Selenskyj.

Österreich rät zur Vorsicht

Amerikaner und Europäer wappnen sich dennoch längst für eine mögliche Eskalation. Mehrere Staaten, darunter Deutschland, Spanien, Italien und die Niederlande, riefen ihre Bürger am Samstag zur Ausreise aus der Ukraine auf. Zuvor hatten das unter anderem schon Großbritannien, Australien und die USA getan. Das US-Außenministerium kündigte am Samstag an, auch das Personal in seiner Botschaft in Kiew auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Außerdem zieht das US-Militär wegen Kräfte aus der Ukraine ab, die zu Trainingszwecken dort waren.

Anders als diese Läner hat Österreich eine seit 28. Jänner gültige Einschätzung der Sicherheitslage im Land einstweilen nicht verändert. "Aufgrund der durch die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine ausgelösten Spannungen wird zurzeit von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen in die Ukraine abgeraten", hieß es auch am Samstagabend auf der Homepage des österreichischen Außenministeriums (BMEIA). Bei einer allfälligen Reiseplanung sei jedenfalls mit besonderer Umsicht vorzugehen.

USA weisen russische Darstellung über U-Boot-Zwischenfall zurück

Inmitten der Spannungen vertrieb Russland am Samstag nach eigenen Angaben ein amerikanisches U-Boot aus den eigenen Hoheitsgewässern im Pazifik. Das Boot habe nahe der Inselgruppe der Kurilen die russische Staatsgrenze verletzt, teilte Russlands Verteidigungsministerium mit.

Die USA haben die Darstellung am Abend zurückgewiesen. Ein Sprecher der US-Marine für den indopazifischen Raum teilte am Samstag (Ortszeit) auf dpa-Anfrage mit: "Die russischen Behauptungen, dass wir in ihren Hoheitsgewässern operieren, sind nicht wahr." Er werde sich nicht zum genauen Standort von US-Booten äußern, "aber wir fliegen, segeln und operieren sicher in internationalen Gewässern". (dpa)

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