Westen verhängt Sanktionen gegen Russland, Moskau unbeeindruckt
Russland drohen nach der Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine scharfe Sanktionen. Der Vorschlag der EU-Kommission beschränkt sich nicht auf Einreiseverbote und Vermögenssperren.
Kiew/Moskau/Brüssel – Nach der Anerkennung der ostukrainischen Separatisten-Gebiete durch Moskau hat der Westen erste Strafmaßnahmen gegen Russland verhängt. Die EU-Kommission will unerwartet weitreichende Sanktionen vorschlagen. Deutschland hat angekündigt, die Inbetriebnahme der umstrittenen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Die USA werden noch am Dienstag weitere Strafmaßnahmen präsentieren, auch Großbritannien kündigte ein Sofortpaket mit Wirtschaftssanktionen an.
Die EU plant eine starke Reaktion auf die jüngsten Schritte Moskaus. Ein am Dienstag den Mitgliedstaaten präsentierter Entwurf sieht Angaben von Diplomaten zufolge vor, den Handel mit russischen Staatsanleihen zu verbieten, um eine Refinanzierung des russischen Staats zu erschweren. Zudem sollen mehrere Hundert Personen und Unternehmen auf die EU-Sanktionsliste kommen.
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Darunter wären nach Angaben von Diplomaten rund 350 Abgeordnete des russischen Parlaments, die für die russische Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine gestimmt haben, aber auch Banken, die in der Ostukraine Geschäfte machen. Auch sollen die Freihandelsregelungen der EU mit der Ukraine nicht mehr für die Gebiete in der Ostukraine gelten.
Von Personen, Organisationen und Unternehmen, die auf die EU-Sanktionsliste gesetzt werden, werden sämtliche in der EU vorhandenen Vermögenswerte eingefroren. Zudem dürfen gelistete Personen nicht mehr in die EU einreisen und mit den Betroffenen dürfen auch keine Geschäfte mehr gemacht werden.
Die EU-Kommission bestätigte am Mittag in einer Pressemitteilung die Grundzüge des Pakets. Demnach ist es Ziel der Finanzsanktionen, den Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten sowie Finanzdienstleistungen der EU ins Visier zu nehmen, um „die Finanzierung eskalierender und aggressiver Maßnahmen zu begrenzen". Von den russischen Banken sollen diejenigen bestraft werden, die an der Finanzierung russischer Militäroperationen und andere Maßnahmen in den Separatistengebieten beteiligt sind.
Die vorgeschlagenen Beschränkungen des Handels zwischen der EU und der Separatistengebiete würden den Angaben zufolge sicherstellen, „dass die Verantwortlichen die wirtschaftlichen Folgen ihres rechtswidrigen und aggressiven Handelns deutlich spüren".
Nicht volles Arsenal an Sanktionsmöglichkeiten
An den Beratungen über die Vorschläge beteiligte Personen betonten, dass das volle Arsenal der Sanktionsmöglichkeiten damit bei weitem noch nicht genutzt werde. Sanktionen zum Beispiel gegen den russischen Energiesektor und Ausfuhrverbote für Hightech-Technologie seien für den Fall vorbereitet worden, dass Russland einen Angriff auf die ganze Ukraine starte. Auch Kremlchef Wladimir Putin wird voraussichtlich noch nicht auf die EU-Sanktionsliste kommen. Damit soll gesichert werden, dass die Sanktionen weiter verschärft werden können.
Eine politische Entscheidung über das Sanktionspaket könnte nach Angaben aus EU-Kreisen bereits am späten Dienstagnachmittag bei einem informellen Sondertreffen der Außenminister der EU-Staaten in Paris getroffen werden. Der formelle Beschluss würde dann im Anschluss im schriftlichen Verfahren gefasst. Entgegen vorheriger Angaben wird Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) nicht daran teilnehmen, Österreich wird auf Botschafterebene vertreten sein.
Scholz legt Nord Stream 2 auf Eis
Aber auch einzelne Länder reagierten scharf. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Dienstag in Berlin an, er habe das Wirtschaftsministerium angewiesen, eine Neubewertung von Nord Stream 2 vorzunehmen, durch die russisches Gas direkt nach Deutschland geleitet werden soll. Derzeit werde es keine Zertifizierung für den Betrieb der Pipeline geben. Kiew lobte die Entscheidung von Scholz, Moskau zeigte sich bisher unbeeindruckt.
Die in der Schweiz ansässige Projektgesellschaft Nord Stream 2 gehört dem russischen Staatskonzern Gazprom. An der Finanzierung der Röhre beteiligt sich auch das österreichische Energieunternehmen OMV. Die Gesamtkosten waren auf 9,5 Milliarden Euro beziffert worden.
Auch Großbritannien legte sein Sanktionspaket bereits vor. Wie Premierminister Boris Johnson am Dienstag verkündete, werden fünf russische Banken sowie drei wohlhabende russische Staatsbürger mit gezielten Sanktionen belegt. Deren Vermögen in Großbritannien werde eingefroren und Reisen nach Großbritannien unterbunden. Das sei nur die erste Tranche an Sanktionen, betonte Johnson.
Die britische Regierung will die Emission russischer Staatsanleihen am Finanzmarkt London blockieren, sollte die Regierung in Moskau eine Entspannung des Konflikts verweigern. Sollte Russland nicht deeskalieren, werde das Vereinigte Königreich in kürze Gesetze einführen, die neben anderen Schritten Russland daran hinderten, Staatsanleihen an den Märkten im Vereinigten Königreich zu begeben, wie das britische Außenministerium erklärte.
Britischen Oppositionspolitikern gingen die Sanktionen nicht weit genug. Der Chef der britischen Liberaldemokraten Ed Davey forderte, „die Vermögen von jedem einzelnen von Putins Freunden in Großbritannien einzufrieren (...) und diese Oligarchen aus unserem Land auszuweisen(...)." Wie das britische Außenministerium mitteilte, wurde Russlands Botschafter in London am Dienstag zu Gesprächen zitiert. Eine Ausweisung russischer Diplomaten steht aber Medienberichten zufolge bisher nicht zur Debatte.
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Auch die USA wollen die Sanktionen verschärfen. Washington wird nach eigenen Angaben noch am Dienstag weitere möglicherweise schwere Strafmaßnahmen gegen Russland ankündigen. Das US-Präsidialamt teilt mit, dies werde mit den Verbündeten und Partnern koordiniert.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock berief eine Schaltkonferenz der G7-Ressortchefs ein, wie das Auswärtige Amt mitteilte. Damit wolle die deutsche G7-Präsidentschaft „die enge und kontinuierliche Abstimmung zur Russland-Krise" fortsetzen.
Steinmeier hält Eskalation für möglich
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält indes eine weitere Eskalation des Ukraine-Konflikts für möglich. Ob man mit der Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk durch Russland schon die Spitze der Eskalation erreicht habe, könne er nicht beurteilen, sagte Steinmeier am Dienstag in Dakar. „Zu befürchten ist, dass wir das Ende jedenfalls noch nicht erlebt haben."
Wegen der Zuspitzung der Lage in der Ukraine wollte Steinmeier seinen offiziellen Besuch im Senegal vorzeitig beenden. Statt wie geplant am Mittwochmittag wollte er bereits am Dienstagabend nach Deutschland zurückfliegen.
Steinmeier warf Kremlchef Wladimir Putin einen Bruch des Völkerrechts und eine „Vernichtung des Minsker Abkommens" vor. Damit sei die einzige Grundlage für Gespräche über eine friedliche Konfliktlösung weggefallen. Dies sei nicht zu verstehen und schaffe eine hochgefährliche Lage. „Das ist eben nicht der Weg in Dialog, sondern das ist die Suche nach Konfrontation", sagte Steinmeier. Putins Entscheidung müsse auf eine gemeinsame und entschlossene Antwort der westlichen Partner treffen.
Russland bislang unbeeindruckt
Der russische Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich unterdessen von Sanktionsdrohungen wenig beeindruckt. „Unsere europäischen, amerikanischen, britischen Kollegen werden nicht aufhören und sich nicht beruhigen, bis sie alle ihre Möglichkeiten zur sogenannten 'Strafe gegen Russland' ausgeschöpft haben", sagte er. „Sie drohen uns bereits mit allen möglichen Sanktionen oder, wie sie jetzt sagen, mit der 'Mutter aller Sanktionen'", sagt Lawrow. „Nun, wir sind daran gewöhnt. Wir wissen, dass sowieso Sanktionen verhängt werden – ob mit oder ohne Grund."
Putin hatte am Montag die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten anerkannt und die Entsendung von Truppen in den umkämpften Osten der Ukraine angeordnet. (TT.com/APA/Reuters/AFP/dpa)
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