IPCC-Bericht

Bericht des Weltklimarats: Planet könnte für Menschen unbewohnbar werden

Hitze und ihre Folgen, Wasserknappheit sowie Überschwemmungen gehören laut IPCC zu den größten Risiken für Europa.
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Der zweite Teil des Sachstandsberichts warnt vor „Lücken in der Umsetzung" und dem daraus folgenden Verlust von Menschenleben, biologischer Vielfalt und Infrastruktur – auch in Europa. Umwelt-NGOs schlagen Alarm.

Genf – Der Weltklimarat IPCC hat am Montag den zweiten Teil seines Sachstandsberichts präsentiert und erneut vor den „roten Ampeln" der bereits gegenwärtig wirkenden Klimakrise gewarnt. Ein Überschreiten droht die Erde in Zukunft zu einem für Menschen unbewohnbaren Planeten zu verwandeln. Die „Lücke in der Umsetzung" ist laut dem Co-Leiter der IPCC-Arbeitsgruppe, Hans-Otto Pörtner, weiterhin das Problem. Der Bericht zeigt neben Folgen und Risiken der Klimaerhitzung aber auch Möglichkeiten, mit diesen umzugehen.

Die Co-Autoren Georg Kaser (Uni Innsbruck), Birgit Bednar-Friedl (Uni Graz), Reinhard Mechler (Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse) und Harald Rieder (Vorstandsmitglied des Climate Change Centre Austria) haben den Bericht am Montag präsentiert.
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„Dieser Bericht ist eine eindringliche Warnung vor den Folgen der Untätigkeit", so IPPC-Vorsitzender Hoesung Lee. Der Pariser Klimavertrag gibt vor, was zu tun ist, nämlich den CO2-Ausstoß insgesamt so weit zurückzufahren, dass die Erderwärmung bis 2050 möglichst unter 1,5 Grad bleibt. Doch bereits der im August 2021 veröffentlichte erste Teil des inzwischen sechsten Sachstandsberichts mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels zum Inhalt hatte eine alarmierende Aussage: Bei der derzeitigen Entwicklung werde die Erde schon gegen 2030 um 1,5 Grad Celsius wärmer sein im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter – zehn Jahre früher als noch 2018 prognostiziert. Ohne eine rasche und drastische Reduzierung der Emissionen droht das Szenario eines zunehmenden Verlusts von Menschenleben, biologischer Vielfalt und Infrastruktur.

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„Jede weitere Verzögerung eines global konzentrierten Handelns wird ein kurzes und sich schnell schließendes Zeitfenster verpassen", zitierte Georg Kaser, IPCC Review Editor von der Universität Innsbruck, eine der Kernaussagen des neuen Berichts und resümierte: „Die Lage ist also dramatisch". Die Evidenz an Schäden und Verlusten in Europa habe sich verhärtet, erläuterte Birgit Bednar-Friedl von der Universität Graz bei der Präsentation des Berichts bei einem Pressetermin des österreichischen Klimaforschungsnetzwerk CCCA in Wien. Sie war im IPCC-Bericht beim Kapitel „Europa" beteiligt. Erstmals habe man auch bezüglich der wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels einen Nachweis liefern können, die stärksten Auswirkungen sehe man heute schon, etwa im mediterranen Raum.

📽️ Video | Statement von Georg Kaser (Universität Innsbruck):

📽️ Video | Statement von Birgit Bednar-Friedl (Universität Graz):

Wechselwirkungen zwischen Klima, Ökosystem und Gesellschaft

Der am Montag publizierte zweite Teil sei auch „eine Verstärkung der Botschaften" seines Vorgängers, sagte Pörtner in einem Hintergrundgespräch des deutschen Science Media Centers (SMC). Der Bericht legt dabei einen Schwerpunkt auf die wechselseitigen Wirkungen zwischen Klima, dem Ökosystem und seiner Artenvielfalt sowie der menschlichen Gesellschaft. Das Denken über diese Wechselwirkungen sei in der Politik noch nicht so richtig angekommen, wenn man es mit dem Sachstandsbericht schaffe, die Sicht auf Biodiversität und Klimaschutz zu vereinen, dann hätte man etwas erreicht.

Veränderungen, Krisen und Probleme in einem der drei Bereiche bedingen Effekte in anderen Bereichen: „Häufig haben arme Menschen eine außergewöhnlich hohe Verletzlichkeit (Vulnerabilitäten) in mehreren der oben genannten Dimensionen. Menschen mit geringem ökonomischem Spielraum leben häufig in einer besonders geschädigten Umwelt, die weiterhin stark vom Klimawandel betroffen ist. Dies entspricht unseren empirischen Beobachtungen und wird sehr gut vom Report herausgearbeitet", stellt dazu der deutsche Experte für Soziale Systeme und Ökologische Ökonomie, Achim Schlüter, von der Jacobs University Bremen fest.

Massensterben bei Überschreiten der Anpassungsgrenzen

Der als Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut tätige Wissenschafter Pörtner betont, dass die „Übernutzung" des Ökosystems dessen Empfindlichkeit gegenüber der Klimakrise erhöht. „Die Natur passt sich an den Klimawandel an, das musste sie im Verlauf der Erdgeschichte immer", so Pörtner. Jedoch habe sich dabei immer gezeigt, dass es Anpassungsgrenzen, bei deren Überschreiten ein Massensterben die Folge ist. Für den Sachstandsbericht wurden die Rahmenbedingungen definiert, wie diese Abwärtsspirale beendet werden kann. Und gerade im Schutz und der Stärkung der Natur liege ein Schlüssel zu einer lebenswerten Zukunft und zur Anpassung an die Klimakrise.

Noch ist das Gegenteil der Fall, denn „zunehmende Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen überschreiten bereits die Toleranzschwelle von Pflanzen und Tieren und führen zu einem Massensterben von Bäumen und Korallen", teilt der Weltklimarat am Montag mit. Diese Wetterextreme treten gleichzeitig auf und mit immer schwieriger zu bewältigenden Auswirkungen. Schon jetzt sind so Millionen von Menschen vor allem in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika sowie auf kleinen Inseln einer akuten Nahrungsmittel- und Wasserversorgungsunsicherheit ausgesetzt.

🔎 Zentrale Ergebnisse der Berichts für Europa

Europa erwärmt sich schneller als der globale Schnitt, das zeige sich deutlich: „Wichtig ist, dass sich die Auswirkungen nicht in allen Regionen auf gleiche Weise niederschlagen", sagt die Paläobiologin Daniela Schmidt und Leitautorin des IPCC-Sachstandsberichtskapitels zu Europa.

➡️ Vier Schlüsselrisiken wurden für den Kontinent ermittelt:

Hitze: So werde etwa die Zahl der Todesfälle und die Zahl der durch Hitzestress gefährdeten Menschen bei drei Grad globaler Erderhitzung im Vergleich zu 1,5 Grad um das Zwei- bis Dreifache ansteigen. Bei über drei Grad Celsius endet mit hoher Wahrscheinlichkeit dann auch jegliches Anpassungspotenzial der Menschen und der bestehenden Gesundheitssysteme.

Landwirtschaft: Was das zweite Schlüsselrisiko – den Hitze- und Trockenheitsstress für Nutzpflanzen – betrifft, so werden im laufenden Jahrhundert laut IPCC für die meisten europäischen Gebiete mit hoher Wahrscheinlichkeit beträchtliche Verluste in der landwirtschaftlichen Produktion prognostiziert.

Wasserknappheit: Die Bewässerung ist zwar eine wirksame Anpassungsoption für die Landwirtschaft, jedoch wurde die Wasserknappheit auch als drittes Schlüsselrisiko definiert. Schon bei einer Erderwärmung um zwei Grad werde in Südeuropa mehr als ein Drittel der Bevölkerung an Mangel leiden. Für West-, Mittel- und Südeuropa und für viele Städte wird das Risiko der Wasserknappheit auch bei unter drei Grad stark zunehmen.

Überschwemmungen: Auch das Risiko für Überschwemmungen und einen Meeresspiegelanstieg steigt in Europa durch die Klimakrise immer weiter. Wenn drei Grad Erderhitzung überschritten werden, können sich die finanziellen Schadensummen sowie die Zahl der von Niederschlägen und Flussüberschwemmungen betroffenen Menschen verdoppeln. Die Überschwemmungsschäden an den Küsten werden mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um mindestens das Zehnfache zunehmen, bei den derzeitigen Anpassungs-und Minderungsmaßnahmen sogar noch stärker oder früher.

➡️ Zu den Risiken gibt es jedoch auch eine wachsende Zahl von Anpassungsoptionen:

So wird als Reaktion auf die Hitze eine Verhaltensänderung in Kombination mit baulichen Maßnahmen genannt. Neben der Bewässerung in der Landwirtschaft zählt etwa eine Änderungen der Anbaumethoden dazu. Dem Schlüsselrisiko „Wasserknappheit" könne mit Effizienzsteigerung bei der Nutzung, Wasserspeicherung und Frühwarnsystemen begegnet werden.

Frühwarnsysteme sind auch eine Option bei den Überschwemmungen, daneben werden etwa Landnutzungsänderung, aber auch ein kontrollierter Rückzug aus den gefährdeten Gebieten genannt. Haupthindernisse zur Umsetzung sind jedoch begrenzte Ressourcen, und ein mangelndes Engagement des Privatsektors und der Bürger und Bürgerinnen. Auch eine unzureichende Mobilisierung von Finanzmitteln, die fehlende politische Führung und ein geringes Bewusstsein für die Dringlichkeit werden genannt. Die meisten Anpassungsoptionen an die Hauptrisiken hängen zudem von begrenzten Wasser- und Landressourcen ab, Zielkonflikte könnten daher mit hoher Wahrscheinlichkeit die Folge sein.

🔎 Mehr Details zum Bericht gibt es HIER.

Hitze in Österreich „Riesenthema", Verkehr als „Sorgenkind"

Für Österreich sieht Klimaexperte Daniel Huppmann die Auswirkungen steigender Temperaturen auf die Gesundheit als „Riesenthema", das in den immer heißeren Sommern vor allem ältere und vorerkrankte Personen stärker treffen wird. Die Landwirtschaft werde voraussichtlich vielfach mit entweder zu trockenen oder zu feuchten Bedingungen zu kämpfen haben. Auch wenn Österreich beim Trinkwasser in einer weiter guten Lage ist, könne auch Wasserknappheit vermehrt Effekte zeitigen. So etwa, wenn trockenere Wälder durch Borkenkäferbefall weiter unter Druck geraten.

Letztlich gelte für Österreich, dass es durch die steigenden Temperaturen schon vielerorts „ungemütlich ist". Österreich liegt an der Grenze zwischen dem trockeneren mediterranen Klima, dem feuchteren nordeuropäischen Klima und dem im Osten vorherrschenden Steppenklima. Hier könne sich „sehr leicht sehr drastisch" etwas verschieben, „wenn nämlich das mediterrane, heiße Wetter einmal über die Alpen hinüberschwappt".

Um drohende Effekte abzufedern, könne man einiges tun, betonte Huppmann: „Verkehr ist das große Sorgenkind." Es bräuchte eine Verringerung der Verkehrsflächen, was mehr Leute auf andere Verkehrsmittel als das Auto umsteigen ließe. Gleichzeitig gebe es dann zusätzliche Möglichkeiten zur Begrünung von Flächen, „was für die Klimawandelanpassung wahnsinnig wichtig ist". Nicht zuletzt müssten klimaschädliche Subventionen deutlich reduziert werden. Würde man diese in Richtung „Grüne Energie" und Co umlenken, könne man die Energiewende schon nahezu durchfinanzieren, zeigte sich der Forscher überzeugt.

Österreich sei bei der Anpassung in einer vergleichsweise guten Position. Die Tragik sei aber, dass diese Möglichkeiten in vielen weniger entwickelten Ländern deutlich eingeschränkt sind, bei tendenziell noch stärkeren Auswirkungen des Klimawandels als hierzulande.

Umwelt-NGOs schlagen Alarm

Angesichts des Veröffentlichung der neuen Erkenntnisse des Weltklimarats haben Umwelt-NGOs erneut Alarm geschlagen. „Der Bericht zeigt auf, dass die Konsequenzen der Erderhitzung schneller und heftiger ausfallen, als bisher angenommen wurde. Bereits heute verlassen weltweit die Hälfte aller Arten ihre Heimatgebiete und wandern in kühlere Regionen", hieß es etwa seitens Greenpeace Österreich.

Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung leide derzeit zumindest zeitweise im Jahr unter schwerwiegender Wasserknappheit. Wetterextreme werden intensiver, häufiger und treffen dabei viele Regionen der Welt. „Die jetzigen Klimaschutzmaßnahmen reichen nicht aus, um die Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad zu beschränken. Es gibt auch nicht die nötigen Programme und Finanzmittel, um die Gesellschaft an die zukünftigen klimatischen Bedingungen anzupassen", hieß es. Greenpeace fordert den raschen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas und den umfassenden Schutz von Land- und Wasserflächen.

„Selbst für diejenigen, die sich schon lange mit der Materie beschäftigen, sind die Ergebnisse schockierend. Bei Beibehaltung des aktuellen Kurses sind schwere Folgen zu erwarten: Die Klimakrise schlägt dann härter zu, zerstört das Zuhause von mehr Menschen und schädigt weltweit die Ökosysteme viel schwerer, als bisher befürchtet", sagte Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher von Global 2000. Mit der Eingrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad könne aber noch schwerer Schaden abgewendet werden.

Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich sah in den Erkenntnissen einen „Weckruf an die internationale Politik" und fordert einen Klima- und Naturschutz-Pakt. „Die Politik darf nicht länger tatenlos zusehen, während intakte Ökosysteme im Rekordtempo vernichtet werden und Menschen dadurch ihre Lebensgrundlagen verlieren. Wir brauchen endlich ambitionierte Maßnahmen, um die schlimmsten Auswirkungen dieser Krise abzufedern und Menschen und Natur vor ihr zu schützen", so Karl Schellmann, Klimaexperte des WWF Österreich.

„Noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten wir so genau vorhersehen, welches Schicksal uns bevorsteht, wenn die Politik nicht handelt" sagte Laila Kriechbaum von Fridays For Future. Die Regierungen würden wissentlich auf die wohl größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit zu steuern. „Aber anstatt die Erderhitzung zu stoppen, blockieren und verzögern sie die Lösungen. Was ist das für eine absurde Zeit, in der wir jungen Menschen da aufwachsen müssen?", so Kriechbaum. (TT.com, APA)