Corona-Krise

Impfpflicht wird ausgesetzt: ÖVP-Landesrätin sieht „falsches Signal", scharfe Kritik der Opposition

(Symbolbild)
© BARBARA GINDL

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben: Das ist seit heute der Status quo in Sachen Impfpflicht in Österreich. Innerhalb der ÖVP gibt es erste kritische Stimmen. Der FPÖ geht der Schritt nicht weit genug, SPÖ und NEOS warnten vor einem neuerlichen Verschlafen des Sommers. Auch von einer „Kapitulation" ist die Rede.

Wien – Die Impfpflicht gegen das Coronavirus wird ausgesetzt. Das hat die Regierung heute im Ministerrat entschieden. Wie Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ausführte, sei die Pflicht bei der vorherrschenden (Omikron-)Variante nicht verhältnismäßig. In drei Monaten soll neu entschieden werden, wie Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ausführte. Eigentlich hätte bei Verstößen gegen die Pflicht ab Mitte März gestraft werden sollen.

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„Müssen flexibel sein": Gesetz bleibt bestehen

Basis für die Entscheidung ist der Bericht einer Experten-Kommission. Die darin enthaltenen Empfehlungen würden „selbstverständlich" umgesetzt, betonte Edtstadler. Das Aussetzen der Pflicht geschieht, „weil viele Argumente dafür sprechen, dass der Grundrechtseingriff nicht gerechtfertigt ist". Im Kommissionsbericht komme zwar „ganz klar zum Ausdruck", dass Impfen hilft und ein „probates Mittel" sei – man aber flexibel auf die Situation reagieren müsse und „jetzt eine Virusvariante vorherrschend ist, die das (die Impfpflicht, Anm.) nicht deckt".

Seit dem Inkrafttreten der Impfpflicht am 4. Februar haben sich nur 26.018 bis dato ungeimpfte Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen. Mehr zur Grafik lesen Sie am Ende dieses Artikels.

Die Verfassungsministerin unterstrich, dass heute wohl nicht das letzte Kapitel in Sachen Impfpflicht geschrieben worden sei: „Genau wie das Virus sehr beweglich ist, müssen wir flexibel und anpassungsfähig sein." Das Gesetz zur Impfpflicht bleibt daher quasi im Hintergrund weiter bestehen.

„Impfen schützt uns alle"

Rauch sagte, die Kommission werde in spätesten drei Monaten ihren nächsten Bericht vorlegen, danach folgt eine neue Entscheidung. Der jetzt eingeschlagene Weg fuße auf den Säulen der Verhältnis- und Verfassungsmäßigkeit sowie auf jener der wissenschaftlichen Evidenz.

Auch der neue Gesundheitsminister betonte, dass die Impfung weiterhin das probate Mittel sei, um die Pandemie in den Griff zu bekommen – das habe auch die Kommission festgehalten. „Impfen schützt uns alle." „Lassen Sie sich impfen, wenn sie es noch nicht getan haben. Holen Sie sich die zweite oder dritte Impfung, wenn Sie es noch nicht getan haben", so sein Appell. Denn auch die Kommission sage, dass es nicht auszuschließen sei, dass man im Herbst wieder mit einer Variante konfrontiert sein könnte, „die ähnliche Auswirkungen hat auf das Gesundheitssystem, wie wir es schon erlebt haben".

📽️ Video | Regierung setzt Corona-Impfpflicht aus

Dass man die Impfpflicht komplett aussetzt und nicht etwa nur die Strafen, sei ein bewusster Schritt, betonten Rauch und Edstadler: „Es trifft genau das, was ich als ehemalige Richterin gesagt habe: Ein Gesetz ohne Sanktionen ist zahnlos und sinnlos. Wir setzen daher die Impfpflicht an sich aus. Das bringt mit sich, dass es auch keine Kontrollen gibt." Das gebe das „flexible" Gesetz auch her: Es brauche dazu lediglich eine Verordnung des Gesundheitsministers und einen Beschluss im Hauptausschuss, aber keine Gesetzesänderung, betonte Edtstadler.

Sollte es die Situation notwendig machen, die Impfpflicht doch wieder in Kraft zu setzen, werde man schnell reagieren können, versicherten die beiden Regierungsmitglieder. Man werde in den Vorbereitungen nicht die drei Monate abwarten, sondern auf die Situation „reagieren und vorbereitet sein", so Rauch. Sollte es notwendig sein, dann werde man „sehr schnell" reagieren, sagte auch Edtstadler.

💬 Reaktionen von ÖVP, SPÖ, NEOS, FPÖ

➤ Kritisch zu dem von der ÖVP-Grünen-Koalition beschlossenen Vorgehen äußerte sich die Vorarlberger ÖVP-Landesrätin Martina Rüscher: „Das ist das falsche Signal, denn damit wird der Bevölkerung vermittelt, dass die Impfung per se nicht hilft. Tatsächlich ist und bleibt sie aber der Weg, um letztlich die Pandemie zu überwinden."

Sie sähe eine Verschiebung von Bestrafungen als noch vertretbar an, nicht aber das gänzliche Aussetzen, sagte sie in einem Statement zur APA. „So wird es extrem schwer werden, in drei Monaten wieder das nötige Bewusstsein zu schaffen, dass die Impfung doch Sinn macht, und die Menschen dafür zu motivieren. Die Belagszahlen in den Krankenhäusern werden diese Notwendigkeit voraussichtlich erst im Herbst sichtbar machen. Dann ist es aber zu spät, um zu reagieren", so Rüscher.

➤ Aus den ÖVP-Bundesländern kamen ansonsten zurückhaltend positive Wortmeldungen. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP), der sich schon lange und als einer der ersten für eine Impfpflicht eingesetzt hatte, sagte in einer ersten Reaktion: „Mit der Abschaffung praktisch aller Maßnahmen per 5. März war die Impfpflicht, die sowieso ein Jahr zu spät kam, obsolet geworden. Der Bericht der Experten-Kommission liegt nun vor und diesen gilt es zu akzeptieren und umzusetzen."

➤ Ähnlich äußerte sich Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): „Die Empfehlung liegt nun da und ist es gut, diesem Rat der Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu folgen." Sie betonte erneut, dass sie von Anfang an gesagt habe: Sollte die Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen kommen, dass es die Impfpflicht nicht mehr braucht, „bin ich die erste, die sich dafür einsetzt, dass die Impfpflicht ausgesetzt wird".

Oberösterreichs Gesundheitslandesrätin LHStv. Christine Haberlander (ÖVP) bezeichnete die Empfehlung der Expertenkommission, „dann zu impfen, wenn die Wirkung am größten ist", als nachvollziehbar. „Ich begrüße es daher, dass an der Impfpflicht festgehalten wird, denn es geht nicht um den aktuellen Zeitpunkt, sondern insbesondere um die Vorbereitung auf den Herbst und Winter", forderte sie den Bund auf, die Zeit aktiv zu nützen, um die technischen Rahmenbedingungen aufzubereiten und das Instrument tauglich zu stellen. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) kritisierte den Schritt mit Verweis auf die meisten Covid-Tages-Neuinfektionen seit Beginn der Pandemie: Das Aussetzen der Impfpflicht stelle eine „Kapitulation" vor Coronaleugnern und Impfgegnern dar.

➤ Deutliche Kritik kam von den SPÖ-geführten Ländern Wien und dem Burgenland: „Man kann eine Impfpflicht machen, man kann auch keine Impfpflicht machen. Aber so, wie es jetzt die Bundesregierung macht, kann man es auf keinen Fall machen", hieß es in einem knappen Statement aus dem Büro von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig.

➤ Für Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) ist das Aussetzen der Impfpflicht „abermals ein Beweis für das unkoordinierte Krisenmanagement der Bundesregierung". Zunächst habe man die Impfpflicht angekündigt, ohne zu wissen, wie man sie konkret umsetzen kann. Danach sei ein Gesetzesentwurf vorgelegt worden, der praktisch nicht umsetzbar gewesen sei und nun empfehle die Kommission, das bereits beschlossene Gesetz nicht zu vollziehen. Die Bevölkerung habe daher kein Vertrauen mehr in das Covid-Management der Bundesregierung.

➤ Die Bundes-SPÖ nahm die Entscheidung der Kommission zwar „zur Kenntnis", vermisst aber einen Plan, wie es weitergeht. „Wenn der kommende Sommer wieder verschlafen wird, stolpern wir planlos in den Herbst und in die nächste Katastrophe", sagte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher in einer Aussendung. Auch verwies er darauf, dass die Kommissions-Experten davon ausgehen, dass im Herbst eine neue Virusvariante kommt: "Die wird uns mit voller Härte treffen, wenn die Impfrate nicht steigt." Für die SPÖ fehlt auch das Setzen von Impfanreizen sowie geeignete Kampagnen, ebenso eine Strategie zu den Tests oder zu Medikamenten.

FPÖ-Chef Herbert Kickl ortete zwar einen Erfolg für die Freiheitlichen, fürchtet aber, dass der „Impfzwang" nun eben später umgesetzt wird, wie er in einer Aussendung erklärte. „Verschoben ist nicht aufgehoben. Der grundrechtswidrige und evidenzbefreite Schlag namens Impfzwang soll jetzt eben ein paar Monate später mit aller Härte gegen die Bevölkerung geführt werden." Kickl hält das Impfpflichtgesetz weiterhin für „verfassungswidrig" – und daran ändere sich „auch in ein paar Wochen oder Monaten nichts". Der politische Kampf der FPÖ gegen das Gesetz gehe jedenfalls konsequent „auf allen Ebenen weiter". Eine ersatzlose Streichung des Impfpflicht-Gesetzes forderte auch die impfkritische Partei MFG.

NEOS-Pandemiesprecher Gerald Loacker will nun vor allem Klarheit von der Regierung hinsichtlich der Ziele im Pandemie-Management. „Die Menschen müssen alle Maßnahmen verstehen und weiterhin mit Anreizen zur Impfung gebracht werden, denn momentan ist die Zahl der Erstimpfungen unterirdisch." Es fehle darüber hinaus immer noch das gemeinsame Ziel: „Wie hoch muss die Impfquote sein? Bis wann muss das Ziel erreicht sein und wie will man es erreichen?" All das bleibt weiter unklar. Er erwarte vom neuen Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), „dass er all diese Fragen rasch beantwortet". Es dürfe nicht wieder passieren, „dass die Regierung und die Landeshauptleute jetzt wieder monatelang die Hände in den Schoß legen und in der warmen Jahreszeit nichts tun, sonst haben wir im Herbst wieder den Salat".

💉 Kaum noch Erstimpfungen

Die Impfpflicht gilt zwar formal seit Anfang Februar, sie ist de facto aber verpufft. Das zeigen die von der Regierung veröffentlichten Zahlen des Impfregisters. Demnach haben sich seit dem Inkrafttreten der Impfpflicht am 4. Februar nur 26.018 bis dato ungeimpfte Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen. Der Anteil der geimpften Erwachsenen in Österreich tritt mit knapp unter 77 Prozent auf der Stelle. Dennoch setzt die Regierung die Impfpflicht nun aus.

Hatte die Infektionswelle im Herbst noch ein Zwischenhoch bei den Erstimpfungen ausgelöst, ging es schon Mitte November wieder bergab. Daran änderte auch die von der Regierung am 16. November angekündigte Impfpflicht nichts: Mitte November ließen sich im Wochenschnitt noch rund 19.000 Menschen neu gegen das Coronavirus impfen, Anfang Dezember waren es nur noch 12.000 und Anfang Jänner gab es im Wochenschnitt überhaupt nur noch 3.000 bis 4.000 Erstimpfungen.

Bei Inkrafttreten der Impfpflicht am 4. Februar lag der Sieben-Tage-Schnitt bei 1.800. Seither ist die Zahl der Erstimpfungen weiter zurückgegangen auf zuletzt nur noch 540.

Daran hat auch der Proteinimpfstoff von Novavax wenig geändert. Hier hatte die Politik auf höhere Akzeptanz bei Impfskeptikern gehofft, weil der Impfstoff auf einer traditionelleren Technologie beruht. Insgesamt haben sich seit seiner Einführung Anfang März allerdings nur 1.911 Menschen die Erstimpfung mit Novavax geholt, weitere 100 eine Zweitimpfung.