Umstrittene Impfpflicht wird zur Gänze ausgesetzt
Österreich verzeichnet einen neuen Rekordwert bei Covid-Infektionen. Expertenbericht warnt derweil vor einer neuen Welle im Herbst.
Wien – Schon wenige Stunden nach der Angelobung des neuen grünen Gesundheitsministers Johannes Rauch sickerte durch, was er dann am Mittwoch im Beisein von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) verkünden musste. Die Impfpflicht gegen das Coronavirus wird zur Gänze ausgesetzt. In einer Woche, so war es vorgesehen, wollte man österreichweit mit zum Teil harten Strafen gegen all jene vorgehen, die sich nicht impfen lassen. Das Gesetz war von Anfang an in weiten Teilen der Bevölkerung umstritten.
Begleitet wurde die Meldung von einem neuen Rekordwert bei den Corona-Infektionen. Seit Dienstag kamen 47.795 Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 hinzu, so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie vor mehr als zwei Jahren.
Basis für die Entscheidung, das Gesetz vorerst auf Eis zu legen, ist der Bericht einer hierfür eigens eingerichteten Experten-Kommission. Die darin enthaltenen Empfehlungen würden „selbstverständlich“ umgesetzt, betonte Edtstadler. Das Aussetzen der Pflicht geschieht, „weil viele Argumente dafür sprechen, dass der Grundrechts-eingriff nicht gerechtfertigt ist“. Im Kommissionsbericht komme zwar „ganz klar zum Ausdruck“, dass Impfen hilft und ein „probates Mittel“ sei – man aber flexibel auf die Situation reagieren müsse und „jetzt eine Virusvariante vorherrschend ist, die die Impfpflicht nicht deckt“.
Dieses Aussetzen gilt vorerst für drei Monate. Dann soll der nächste Bericht vorliegen. Edtstadler stellte klar, dass jetzt wohl noch nicht das letzte Kapitel in Sachen Impfpflicht geschrieben worden sei: „Genau wie das Virus sehr beweglich ist, müssen wir flexibel und anpassungsfähig sein.“ Das Gesetz zur Impfpflicht bleibt daher bis auf Weiteres im Hintergrund bestehen.
Und Rauch ergänzte: Der jetzt eingeschlagene Weg fuße auf den Säulen der Verhältnis- und Verfassungsmäßigkeit sowie auf jener der wissenschaftlichen Evidenz.
Die Impfpflicht-Expertenkommission war schon bei der Verankerung des Gesetzes inkludiert worden. Ihr gehören neben den beiden Medizinern Eva Schernhammer und Herwig Kollaritsch auch Staats- und Medizinrechtler Karl Stöger sowie Rechtswissenschafterin Christiane Wendehorst an.
Die Expertenkommission warnt im selben Bericht davor, dass im Herbst „sehr wahrscheinlich“ eine neue, möglicherweise massive Corona-Welle zu erwarten ist. Ist man auf diese nicht vorbereitet, könnte es wieder zu einschneidenden Maßnahmen bis hin zu Lockdowns kommen. Eine sofortige Impfpflicht sei dennoch „nicht erforderlich“ bzw. „nicht angemessen“. Eine Verschiebung berge den Vorteil, dass die Maßnahme dann nicht mehr notwendig sein könnte.
Die FPÖ war immer schon gegen die Impfpflicht. Den Freiheitlichen ist dieses Aussetzen daher auch zu wenig. Trotzdem erkennt FPÖ-Chef Herbert Kickl in dieser Entscheidung einen Erfolg seiner Politik.
Deutliche Kritik kam vom Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig: „Man kann eine Impfpflicht machen, man kann auch keine Impfpflicht machen. Aber so, wie es jetzt die Bundesregierung macht, kann man es auf keinen Fall machen.“ Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) erkennt erneut einen Beweis für ein „unkoordiniertes Krisenmanagement der Bundesregierung“.
So wie die SPÖ glauben auch die NEOS, dass die Regierung drauf und dran ist, die jetzt kommenden Monate wieder zu verschlafen – und im Herbst das nächste Covid-Drama drohe. (misp)