Wien

Albertina modern: Kunst als Aufruf zu persönlichem Engagement

Kulturelles Erbe mit neuen Sichtweisen: Traditionelle Hocker verwandelt Ai Weiwei in seine Möbelskulptur „Grapes“ (2011).
© Albertina/Rastl, Riedler

Die umfassende Ausstellung „In Search of Humanity“ in der Albertina modern präsentiert das Werk des Künstlers und Aktivisten Ai Weiwei.

Von Bernadette Lietzow

Wien – Es sei „der richtige Moment für diese Ausstellung“ gab sich Ai Weiwei gestern vor den zahlreich zur Pressekonferenz erschienenen JournalistInnen überzeugt. Dem kann man nur bedrückt zustimmen, ist doch das Zentralthema des 1957 in Peking geborenen und inzwischen im europäischen Exil lebenden Künstlers, die Forderung nach universeller Humanität, angesichts der russischen Invasion der Ukraine drängend aktuell. In der bisher „größten Retrospektive“, so Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, stellt die Albertina modern (die Dependance der Albertina am Wiener Karlsplatz) nun entlang der einzelnen Schaffensperioden Ai Weiweis Werk der letzten vierzig Jahre vor. Über 140 Objekte, die das gesamte Erdgeschoß des Museums einnehmen, zeugen in ihrer zum Teil verwirrenden Opulenz und schieren Materialmasse von einem künstlerischen Wollen, das sowohl direkt als auch humorvoll abstrahierend auf politische Missstände und gesellschaftliche Schieflagen reagiert.

Ai Weiwei, der als Sohn des berühmten Dichters Ai Quing während Mao Zedongs „Kulturrevolution“ seine Kindheit und Jugend unter furchtbaren Bedingungen in einem Lager im Norden Chinas verbringen musste, 2011 für 80 Tage an einem unbekannten Ort von der chinesischen Geheimpolizei festgehalten wurde und erst 2015 seinen Reisepass wieder erhielt, stellt seine Kunst in einer Art illusionslosem Idealismus in den Dienst des Kampfes um das menschliche Sein in Würde.

In New York Anfang der 1980er-Jahre öffnen sich für den jungen, damals in erster Linie malenden Künstler mit dem Kennenlernen des Werks von Marcel Duchamp andere Welten. Er lädt Fundstücke mit neuen Bedeutungen auf, verquickt eine Geige mit Arbeitsschuhen oder verbrämt einen metallenen Spaten mit Pelz: Verweise auf den Alltag in den chinesischen Arbeitslagern sind naheliegend.

In „S.A.C.R.E.D.“, bestehend aus sechs Dioramen, verarbeitet Ai Weiwei die eigene Angst und persönliche Traumata, ebenso erschreckend wie aufgrund der Puppenhausanmutung schneidend ironisch: Durch ein kleines Fenster blickt man da in Ai Weiweis Zelle und erledigt als BeobachterIn zugleich die Arbeit des Überwachungspersonals. Goldgelbe, gezeichnete Überwachungskameras, spielerisch ineinander verwoben, zieren im Übrigen die Wände des Dioramen-Ausstellungsraumes, auch in den anderen Sälen stehen Wandgestaltung und Kunstwerke im Dialog.

Ai Weiweis berühmte „Perspektivstudie“, der Stinkefinger auf dem Tian’anmen-Platz und touristischen wie „mächtigen“ Orten, findet man ebenso wie Zeugnisse der intensiven wie kritischen Auseinandersetzung mit chinesischer Handwerkstradition und heutiger Massenproduktion.

Hochinteressant und beeindruckend sind die großformatigen Lego-Bilder der letzten Jahre. Hier transformiert Ai die berühmten dänischen Plastikbausteine, Objekte der Begierde von Kindern wie – meist männlichen – Nerds, zu inhaltsschweren Tafelbildern wie jenes, das die Route des Flüchtlingsrettungsschiffs Sea-Watch 3 nachbildet, oder „Untitled (after Van Gogh)“, das auf die bedrohliche Heuschreckenplage auf dem indischen Subkontinent verweist.

Bis Juni gilt es also noch vieles zu entdecken in der von Dieter Buchhart und Elsy Lahner kuratorisch verantworteten Schau, darüber hinaus jedoch die Botschaft weiterzutragen, nicht müde zu werden in der Verteidigung der Menschlichkeit.

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