Mülldeponie Dandora: Der weite Weg zu einer Welt ohne Plastikmüll
Am 2. März dieses Jahres rafften sich 193 Staaten der Erde in Nairobi zu einem beispiellosen Kraftakt auf. Innerhalb von nur zwei Jahren will man ein internationales Abkommen erarbeiten, mit Hilfe dessen der globalen Verschmutzung durch Plastikmüll Einhalt geboten werden soll. Ein Lokalaugenschein in jener Stadt, in der diese Entscheidung gefällt wurde, führt die Dringlichkeit des Vorhabens drastisch vor Augen.
Von Andreas Stangl/APA
Nairobi – Dandora war einst ein Vorzeigeprojekt. In den 1970er-Jahren schickte sich die Stadtregierung mit Unterstützung der Weltbank an, am nordöstlichen Stadtrand von Nairobi ein hochwertiges Wohngebiet zu errichten. Dann begann man dort den gesamten Müll der rapide wachsenden Millionenstadt abzuladen. Inzwischen bedeckt die Deponie rund einen halben Quadratkilometer, umgeben von heruntergekommenen Wohnvierteln und Slums mit einer Bevölkerung, die in etwa jener von Graz entspricht.
Rund 2000 Menschen, darunter auch Kinder, suchen hier täglich um die Wette mit Marabus und Haustieren nach verwertbaren Müll verschiedener Art. Oft handelt es sich hiebei um Plastik, das allein rund 15 Prozent der gesamten Müllmenge in Dandora ausmacht. 100-200 Kenianische Schilling (80 Cent bis 1,60 Euro) lukrieren die "Pickers" wie die Müllsammler genannt werden, für eine Tagesmenge Plastikmüll.
10.000 Menschen leben von Einkommen aus der Mülldeponie
Von den Einkommen aus der Mülldeponie leben alles in allem rund 10.000 Menschen, schätzt Samuel Goko, ein ehemaliger Straftäter, der sich seit einem Erweckungserlebnis um die Menschen kümmert, die auf der Deponie arbeiten. Er ist hier so etwas wie eine Graue Eminenz, ohne dessen Begleitschutz der Besuch der Deponie für Außenstehende vermutlich lebensgefährlich wäre. Bei ihm laufen auch die Fäden zusammen, wenn es um organisatorische Fragen oder um Konflikte zwischen Müllsammlern und Händlern oder um Streitereien untereinander geht.
Samuel Goko ist nicht der einzige, der sich engagiert. Charles Gachanga kümmert sich mit seiner "Dandora Transformation League" um die Schaffung von Grünräumen und um die Revitalisierung von desolaten Wohnhäusern. Die Dreikönigsaktion der katholischen Jugend in Österreich unterstützt schon seit 20 Jahren mehrere soziale Initiativen in Kenia, darunter das Rescue Dada Center von Nairobi, das sich darauf spezialisiert hat, Kinder und vor allem Mädchen wie jene, die in Dandora vom Sammeln von Müll leben, von der Straße zu holen.
Trotz all dieser Initiativen zur Linderung der Situation in Dandora ist ein Ende der Misere und vor allem eine Lösung des gigantischen Müllproblems in der kenianischen Hauptstadt nicht absehbar. Zwar gibt es Pläne der Stadtregierung, die Deponie abzuwickeln. Ein ehrgeiziger "Waste Action Plan" sieht unter anderem vor, die Mülltrennung zu dezentralisieren. Verteilt auf die Fläche der Stadt sollen insgesamt 17 große Recyclingstationen errichtet werden, wo jene Menschen Arbeit finden sollen, die jetzt mit bloßen Händen auf der Deponie nach Plastikflaschen suchen. Samuel Goko ist skeptisch: "Davon reden sie seit zehn Jahren und es passiert nichts."
Seit 2017 Einkaufstaschen aus Plastik verboten
Dabei ist Kenia unter den afrikanischen Staaten sogar einer der Vorreiter in Bezug auf Plastikvermeidung. Seit 2017 sind Einkaufstaschen aus Plastik in dem ostafrikanischen Land offiziell verboten. Auch Touristen werden bei der Einreise auf diesen Umstand hingewiesen. In den Nationalparks des Landes und in anderen Schutzgebieten ist auch der Gebrauch von Plastikflaschen untersagt.
In der Realität ergibt sich ein anderes Bild. Man muss sich nicht nach Dandora begeben, um in Nairobi allerorten weggeworfenen Plastikmüll vorzufinden. Einweg-Plastikflaschen sind überall in Gebrauch. An ein Pfandsystem ist derzeit nicht zu denken. Eine breitflächige Kampagne zur Abfallvermeidung steht zwar im "Action Plan", aber auch sie hat es bisher nicht gegeben.
Noch wesentlich kritischer als Einwegplastik sind jene, oft hoch toxischen Kunststoffe, die als Komponenten von Haushaltsgeräten, Autos und elektronischen Geräten in die Umwelt gelangen. Laut einem vor zwei Jahren veröffentlichten Interpol-Report ist der illegale Export derartiger Abfälle aus den westlichen Industriestaaten zuletzt stark angestiegen.
Obwohl der Schwerpunkt derartiger Exporte in Westafrika liegt, landen beträchtliche Mengen importierten Mülls wohl auch beispielsweise in Dandora. Laut einer Untersuchung der Kenianischen Produzentenvereinigung (KAM) werden von 600.000 jährlich nach Kenia importierten Tonnen Plastik nur 43.000 Tonnen wiederverwertet. Und das erst im zweiten Schritt, denn im Rathaus von Nairobi gibt man unumwunden zu: "Derzeit laden wir alles auf der Deponie ab".
Auch wenn es der Stadt Nairobi gelingen sollte, ihren "Action Plan" wenigstens teilweise umzusetzen – der Ball für das Abebben der Plastikflut liegt bei den Mitgliedstaaten der UNO-Umweltversammlung. Nämlich rasch jenes angekündigte Abkommen umzusetzen, das "den ganzen Lebenszyklus von Plastik" von der Produktion bis zur Entsorgung für alle verbindlich regeln soll.