„L’évènement – Das Ereignis“ im Kino: „Kein Kind statt eines Lebens“
„L’évènement – Das Ereignis“ erzählt die Geschichte der jungen Französin Anne, die in den 1960ern ungewollt schwanger wird.
Innsbruck – Der Gewinnerfilm des Goldenen Löwen von Venedig war im vergangenen Herbst „L’évènement – Das Ereignis“. Er spielt im Frankreich des Jahres 1963. Nostalgischen Kostümfilm hat Regisseurin Audrey Diwan aber keinen gedreht. Im Zentrum ihres Dramas steht die junge Studentin Anne (eine grandios minimalistische Anamaria Vartolomei). Die Aufsteigerin aus einer Arbeiterfamilie lebt die Freiheit ihrer neuen Generation. Doch als ihre Periode ausbleibt, weiß sie sofort, was ein Baby für ihre freie Zukunft bedeuten würde. Sie wolle „kein Kind statt eines Lebens“, sagt sie dem Arzt. Doch Abtreibung ist in Frankreich damals nicht nur ein Tabu, sondern bis 1975 verboten.
Simone de Beauvoir veröffentlichte 1971 zusammen mit anderen Frauen eine Petition für das Recht auf Abtreibung, in dem sie sich öffentlich zu einem Schwangerschaftsabbruch bekannten. Der Film liefert eine persönliche Geschichte dazu. Es ist jene der französischen Intellektuellen Annie Ernaux, die sie im gleichnamigen autobiografischen Roman zu Papier brachte. Der betont unspezifische Titel zeigt Ernauxs Alter Ego Anne als eine von vielen Frauen jener konservativ-patriarchalen Zeit.
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Regisseurin Audrey Diwan und Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei sind in einer Zeit nach dem Verbot aufgewachsen. Sie seien froh, Zugang zu legalem Schwangerschaftsabbruch zu haben, sagen sie heute. Gerade deshalb ist das Filmprojekt vom Willen getragen, die Geschichte authentisch auf die Leinwand zu bringen. Mitten im ersten Lockdown näherten sich die beiden gemeinsam dem immer noch tabuisierten Thema. Diwan erzählt die Odyssee der jungen Frau fast wie einen Thriller, samt mehrerer schockierend-realistischer Szenen, die nur schwer mit anzusehen sind.
Unterschiedliche Figuren aus Annes Umfeld kämpfen auf spannende Weise mit dem Tabu der Abtreibung. In eng kadrierten Bildern, sonnendurchflutet, aber klaustrophobisch, folgt Diwan ihrer entschlossenen Protagonistin auf der Suche nach einer Lösung – und macht die extreme Situation der ungewollten Schwangerschaft spürbar.
Ähnlich wie im lebhafteren, meisterhaften US-Abtreibungsdrama „Never Rarely Sometimes Always“ von Eliza Hittman hat aber auch Diwan keinen Thesenfilm gedreht. Das politische Engagement tritt hier einmal mehr hinter die Geschichte zurück.
Beim Filmfestival in Venedig feierte der Film in derselben Woche Weltpremiere, als in Texas ein neues Anti-Abtreibungs-Gesetz in Kraft trat. Und auch hierzulande, in Europa und in Österreich, wird von erzkonservativen Christen und der offiziellen katholischen Kirche das Recht auf Selbstbestimmung immer wieder in Frage gestellt. Dieser Aktualität ist sich „L’évènement“ bewusst. (maw)
Infos
L‘évènement – Das Ereignis. Ab 12 Jahren. Ab morgen im Kino.