Ukraine-Krieg

Weltweites Entsetzen über die unfassbaren Gräueltaten in Butscha

Die Straßen des von den ukrainischen Streitkräften zurückeroberten Ortes Butscha bei Kiew waren mit Leichen übersät.
© RONALDO SCHEMIDT

Russische Truppen haben die Vorstädte von Kiew verlassen. Zurück bleiben apokalyptische Szenen. Die Straßen sind mit Toten übersät, insgesamt wurden laut ukrainischen Angaben rund 300 Leichen gefunden. Bei westlichen Politikern herrscht darüber großes Entsetzen.

Kiew/Moskau – Massengräber, mit Leichen übersäte Straßen und völlige Zerstörung - dramatische Berichte und Aufnahmen aus mittlerweile von der ukrainischen Armee zurückeroberten Gebieten bei Kiew haben international für Entsetzen gesorgt. EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich am Sonntag "erschüttert" über Bilder aus dem Ort Butscha und sprach von "Gräueltaten" und einem "Massaker". Politiker und Organisationen weltweit warfen der russischen Armee Kriegsverbrechen vor.

Die russische Armee hatte sich in den vergangenen Tagen aus der Region um Kiew zurückgezogen beziehungsweise war von der ukrainischen Armee vertrieben worden. In Butscha wurden danach laut Angaben der ukrainischen Behörden fast 300 Leichen gefunden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, dass zahlreiche Toten zivile Kleidung getragen hätten. Sie sahen auf einer einzigen Straße in Butscha mindestens 20 Leichen liegen. Mindestens einem der Toten waren die Hände gefesselt.

"Alle diese Menschen wurden erschossen"

"Alle diese Menschen wurden erschossen", sagte Bürgermeister Anatoly Fedoruk. "Sie haben sie mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet." Es stünden Autos auf den Straßen, in denen "ganze Familien getötet wurden: Kinder, Frauen, Großmütter, Männer". Nach Angaben des Bürgermeisters mussten 280 Menschen in Butscha in Massengräbern beigesetzt werden, da die drei städtischen Friedhöfe noch in Reichweite des russischen Militärs lagen.

📽 Video | Entsetzen über hunderte Tote in Butscha in der Ukraine

Der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba sprach von einem "absichtlichen Massaker" und forderte weitere Sanktionen. "Die Russen wollen so viele Ukrainer wie möglich vernichten", schrieb er im Onlinedienst Twitter. Die russischen Streitkräfte hätten "eine totale Katastrophe und zahlreiche Gefahren" hinterlassen, schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj bei Facebook. Er warnte vor vermintem Gebiet und weiteren Luftangriffen.

HRW dokumentierte "offenkundige Kriegsverbrechen"

Die ukrainische Regierung wertete den Rückzug der russischen Truppen aus dem Großraum Kiew und aus der weiter nördlich gelegenen Region Tschernihiw als Beleg für einen Strategiewechsel: Russland wolle sich stärker darauf konzentrieren, eroberte Gebiete im Süden und Osten der Ukraine zu halten. Auch nach Ansicht von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg handle es sich nicht um einen echten Rückzug. Es sei eher eine Neupositionierung, der weitere Angriffe folgen könnten.

Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" (HRW) dokumentierte nach eigenen Angaben eine Reihe "offenkundiger Kriegsverbrechen" der russischen Truppen – neben Kiew seien diese auch in den Regionen Tschernihiw im Norden und in Charkiw im Osten des Landes verübt worden. Vom russischen Präsidialamt sowie Verteidigungsministerium war zunächst kein Kommentar zu den Berichten über die in Butscha aufgefundenen Leichen zu erhalten. Unter den nahe Kiew getöteten Zivilisten war auch der ukrainische Fotograf und Dokumentarfilmer Maksim Levin.

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Entsetzen bei westlichen Politikern

US-Außenminister Antony Blinken zeigte sich entsetzt "Man kann nicht anders, als diese Bilder als einen Schlag in die Magengrube zu sehen", sagte Blinken am Sonntag dem Sender CNN. Die US-Regierung sei bereits im vergangenen Monat zu dem Schluss gekommen sei, dass russische Truppen in der Ukraine Kriegsverbrechen begingen. "Das ist die Realität, die sich jeden Tag abspielt, solange Russlands Brutalität gegen die Ukraine anhält. Deshalb muss es ein Ende haben."

Entsetzt reagierten auch europäische Politiker. "Weitere EU-Sanktionen und Unterstützung sind auf dem Weg. Slava Ukrajini!", twitterte EU-Ratspräsident Michel. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich "schockiert". Alle Fälle müssten vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden.

Das österreichische Außenministerium zeigte sich auf Twitter entsetzt. Es versprach zugleich eine Untersuchung aller begangenen Verbrechen durch die UNO-Untersuchungskommission. Die Verantwortlichen der Verbrechen würden dafür zur Rechenschaft gezogen.

Es gab auch erste Reaktionen von Vertretern politischer Parteien. Sollten sich die Meldungen bewahrheiten, "müssten EU und die Weltgemeinschaft wesentlich deutlicher reagieren als bisher", schrieb etwa der Grüne Nationalratsabgeordnete Georg Bürstmayr auf Twitter. Der Wiener Landtagsabgeordnete Jörg Konrad (NEOS) bezeichnete die Bilder aus Butscha als "unerträglich". "Militärische Unterstützung und Sanktionen sind massiv auszuweiten", forderte er.

Deutscher Vizekanzler will Verschärfung der Sanktionen

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) verlangte am Sonntag in Berlin: "Diese Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären." Sein Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hält "eine Verschärfung der Sanktionen für angezeigt." Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich dafür aus, Kriegsverbrecher vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil warb indes für einen raschen wirtschaftlichen Bruch mit Russland.

Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian verurteilt die "massiven Verstöße" russischer Truppen in der Ukraine. Diese könnten als Kriegsverbrechen bezeichnet werden, teilt er mit. Frankreich werde mit der Ukraine und dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Am letzten Tag seines Maltabesuchs forderte Papst Franziskus Zusammenhalt mit der Ukraine. "Beten wir für den Frieden und denken an die humanitäre Tragödie der gemarterten Ukraine", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Sonntag in Floriana am Ende der Messfeier. Der Heilige Vater wich an dieser Stelle von seinem ursprünglichen Redetext ab. Das Land stehe immer noch unter Bombardierungen dieses "sakrilegischen Krieges", erklärte der 85-Jährige weiter. (APA/dpa/AFP/Reuters)

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