Nehammer nach Treffen mit Putin: „Generell keine positiven Eindrücke“
Am Montagnachmittag traf Österreichs Bundeskanzler mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen. Es sei „kein Freundschaftsbesuch“ gewesen. Generell sei Russland offenbar dabei, eine Offensive in der Ostukraine im Gebiet der russischen Separatistengebiete vorzubereiten.
Moskau, Wien – Bundeskanzler Karl Nehammer hat bei seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin "generell keine positiven Eindrücke" gewonnen. Das erklärte er am Montagabend bei einer Videokonferenz. Wichtig sei aber "persönlicher Kontakt", so der Kanzler, der dafür eintrat, den Weg des Dialog weiterzugehen, "damit es kein Vakuum gibt". Auf seine Botschaft, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das persönliche Gespräch suche, habe es "keine Reaktion" gegeben.
Es sei wichtig gewesen, den russischen Präsidenten unter vier Augen mit den Schrecken des Kriegs zu konfrontieren, sagte Nehammer. Im Zusammenhang mit einer in der Ostukraine drohenden Offensive der russischen Armee sprach der Bundeskanzler von einem Bedarf für humanitäre Korridore, die die Evakuierung der Zivilbevölkerung erlaube. "Ich habe Putin darauf hingewiesen, dass er mit seiner Armee die Verantwortung für die Sicherheit der Korridore trägt", sagte er mit Verweis auf russische Vorwürfe gegen die Ukraine, Evakuierungen verhindert zu haben. Putin sei schließlich auch derjenige, der die Invasion vornehme. Er habe "keine zukunftsfrohen Aussichten", erklärte Nehammer, der als erster Regierungschef eines EU-Landes seit Kriegsbeginn am 24. Februar mit Putin persönlich sprechen konnte.
"Er hat nach wie vor Zutrauen in die Istanbuler Friedensgespräche"
"Putin ist massiv in der Kriegslogik angekommen und handelt auch entsprechend", so der Regierungschef. Anfangs habe Putin den Begriff "Krieg" nicht akzeptiert, gegen Ende habe der russische Präsident jedoch sinngemäß gesagt, er hoffe, dass dieser bald ende. Dies könne aber auch bedeuten, dass die Offensive in der Ostukraine rasch beginne und dies für die Zivilbevölkerung brutal und heftig werden könne.
Der russische Präsident setze offenbar darauf, einen allfälligen Dialog über die ins Stocken geratene Verhandlungen in der Türkei fortzusetzen, sagte der ÖVP-Bundeskanzler. "Er hat nach wie vor Zutrauen in die Istanbuler Friedensgespräche". Es sei wichtig, dass es neben all dem Irrsinn der Gewalt einen Raum gibt, wo trotz allem Gespräche stattfinden könnte. Er werde in den nächsten Tagen auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sprechen.
📽️ Video | ZIB-Korrespondent Paul Krisai aus Moskau
Kein Kommentar aus dem Kreml
Im Kreml verzichtete man zunächst auf Erläuterungen zum Gespräch, von dem es selbst keine Bilder gibt. "Das Treffen sei nach Maßstäben der letzten Zeit nicht sonderlich lang gewesen", kommentierte Putin-Sprecher Dmitri Peskow laut der russischen Nachrichtenagentur TASS. Zu Inhalten können er einstweilen nichts sagen, erklärte er.
"Wenn man die Übersetzungen dazu nimmt, dann haben sie sehr kurz gesprochen", kommentierte der ehemalige österreichische Diplomat Stefan Lehne am Abend in der ZIB2 des ORF. Er glaube, dass Putin und Nehammer der Gesprächsstoff langsam ausgegangen sei und keine echte Kommunikation vorhanden gewesen sei, sagte der Experte.
📽️ Video | Spitzendiplomat Lehne zur Kanzler-Mission
Nehammer war erst am Wochenende in der Ukraine auf Besuch gewesen und hatte dort Präsident Wolodymyr Selenskyj und Premier Denys Schmyhal getroffen. Er forderte zudem eine Aufklärung der Kriegsverbrechen. Dabei könnten die Vereinten Nationen helfen, sagte er. Zu diesem Thema habe es eine heftige Diskussion gegeben. Putin unterstelle der internationalen Gemeinschaft in diesen Fragen nämlich Parteilichkeit. Der russische Präsident habe diesbezüglich ein Misstrauen an den Tag gelegt, was die unabhängige Verfolgung dieser Verbrechen angehe, so Nehammer. Österreich habe aber angeboten, sich für eine Aufarbeitung durch die internationale Strafjustiz einzusetzen.
Nehammer hatte bereits zuvor darauf hingewiesen, dass er "die schweren Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen" und betont habe, "dass all jene, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen" seien. "Ich habe Präsident Putin auch in aller Deutlichkeit gesagt, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft werden, solange Menschen in der Ukraine sterben."
Es gebe Beispiele wie aus den Jugoslawienkriegen, dass solche Verbrechen aufgeklärt werden könnten. Diejenigen, die dafür verantwortlich seien, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Am Samstag war Nehammer bei einem Besuch in Kiew auch in den Vorort Butscha gefahren, wo Hunderte Leichen von Zivilisten gefunden worden waren.
"Es braucht die persönliche Konfrontation"
Nehammer verteidigte sein Treffen mit Putin auch gegen Kritik. Er habe im Machtzentrum der Russischen Föderation die Schrecken des Krieges direkt ansprechen wollen. "Es braucht die persönliche Konfrontation", betonte er. Das Treffen mit Putin sei mit den Spitzen der EU und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgesprochen gewesen.
Der Kanzler bezeichnete die Begegnung mit Putin zudem als "sehr direkt, offen und hart". "Das ist kein Freundschaftsbesuch", betonte er in einer Mitteilung unmittelbar nach Ende des Treffens bei Moskau. "Meine wichtigste Botschaft an Putin war (...), dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer", so der Kanzler. Die Reise nach Russland sei für ihn "eine Pflicht" gewesen, unterstrich der Bundeskanzler. "Eine Pflicht aus der Verantwortung heraus, nichts unversucht zu lassen, um eine Einstellung der Kampfhandlungen oder zumindest humanitäre Fortschritte für die notleidende Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bewirken."
📽️ Video | Analyse von Raffaela Schaidreiter
Putin habe Russisch gesprochen und sei ins Deutsche gedolmetscht worden, schilderte der Bundeskanzler die Modalitäten seines Gesprächs in der Residenz Nowo-Ogarjowo außerhalb von Moskau. Lediglich kurze Passagen seien in deutscher Sprache geführt worden. "Der Tisch war nicht so lange, wie wir ihn aus dem Kreml kennen, er war aber lang", erläuterte Nehammer seinen Abstand zu Putin. Die Initiative zur Moskau-Reise sei von ihm ausgegangen, sagte er, und zwar schon während die Reise in die Ukraine geplant wurde.
Seit Kriegsausbruch war kein Regierungschef aus der EU bei Putin in Moskau, es gab nur telefonischen Kontakt etwa mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz. Lediglich der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett war Anfang März als Vermittler zu einem Treffen mit Putin nach Moskau gereist. Die Reise nach Moskau habe er mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel abgesprochen, sagte Nehammer. Auch Selenskyj, den türkischen Präsidenten Erdogan und den deutschen Kanzler Scholz habe er informiert.
An Nehammers Initiative gab es auch Kritik im In- und Ausland. Die Europäische Kommission teilte mit, sie erwarte gespannt die Ergebnisse des Treffens. Nachdem er bereits EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und den deutschen Kanzler Scholz informiert hatte, wollte der Bundeskanzler noch am Montag in der österreichischen Botschaft in Moskau akkreditierten Diplomaten aus EU-Staaten von seinem Gespräch berichten. (TT.com, APA)
Reaktionen aus Österreichs Politik
Die ehemalige österreichische ÖVP-Außenministerin und langjährige Diplomatin Ursula Plassnik hat die außenpolitischen Aktivitäten von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Kiew und Moskau begrüßt. Angesichts eines drohenden verheerenden russischen Angriffs auf die Ostukraine müsse jede noch so winzige Chance, in Moskau Gehör zu finden, aktiv genützt werden, erklärte sie der APA am Montagabend. "Dieser Verantwortung ist Bundeskanzler Nehammer nachgekommen", betonte sie.
Nehammer sei kein Träumer, sondern ausgebildeter Soldat und habe als Innenminister gelernt, mit harten Sicherheitsfragen umzugehen, charakterisierte die Ex-Politikerin ihren Parteifreund. Auch habe der Bundeskanzler wiederholt, unzweideutig und öffentlich seine Verurteilung von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine zum Ausdruck gebracht.
Bereits bei seinem Besuch in Kiew sei ihm die Erschütterung über die verzweifelte Lage der Menschen anzusehen gesehen, erklärte Plassnik. "Dass er sich nicht mit Ferndiagnosen und Appellen begnügt, sondern Präsident Putin Auge in Auge seine Meinung sagt, finde ich sehr beachtlich und mutig", betonte sie. Dies verdiene Respekt.
Gerade im Fall einer Selbstisolation sei es wichtig, Kontaktkanäle zu suchen und Möglichkeit zu öffnen, erklärte die Diplomatin. Obwohl das nicht immer sofort, nicht immer wie geplant und nicht immer sichtbar sei, wirke jede Begegnung, kommentierte sie.
NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter ließ nach dem Treffen wissen: "Nehammers Aussagen zu Sanktionen sind unklug, wenn nicht sogar gefährlich. Die Einstellung, Sanktionen müssten nur so lange aufrecht bleiben, solange Menschen in der Ukraine sterben, ist die falsche. Sanktionen müssen so lange weitergehen und verschärft werden, solange noch ein russischer Soldat in der Ukraine ist, solange, bis die international anerkannten Grenzen der Ukraine wieder hergestellt sind. Die Europäische Union muss hier hart bleiben, sonst nimmt sich Putin, was er möchte, wenn wir zu vorschnell lockern. Das wäre die richtige Argumentation gewesen, die Nehammer Putin hätte entgegenhalten müssen."
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger schrieb Ähnliches auf Twitter: "Es ist sehr unklug zu sagen, dass die Sanktionen so lange aufrecht bleiben wie Menschen in der Ukraine sterben. Sie müssen so lange aufrecht bleiben bis die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist. Alles andere lädt Putin geradezu zu weiteren Schritten ein."
Skeptisch gab sich unterdessen die SPÖ. "Dialog zu führen und mit allen im Gespräch zu sein, ist wichtig, aber genauso wichtig ist auch, ein klar definiertes Ziel für dieses Gespräch mit Putin zu haben und innerhalb der EU gut abgestimmt zu sein", meinte SPÖ-Europasprecher und Vizeklubchef Jörg Leichtfried am Montag in einer Stellungnahme gegenüber der APA. "Ich hoffe, dass diese Abstimmung mit den EU-Partnern auch erfolgt ist. Der gemeinsame europäische Weg darf jedenfalls nicht verlassen werden und dem Kanzler ist hoffentlich bewusst, dass das Risiko auch für den außenpolitischen Ruf Österreichs hoch ist", warnte Leichtfried. "Am Ende des Tages zählt, welches Ergebnis bei diesem Gespräch herauskommt."Am Abend twitterte die SPÖ: "Was war jetzt konkret das Ergebnis des Gespräches zwischen #Nehammer und #Putin?"