„Verzweifelt, aber optimistisch“: Theatermacher Jan Lauwers in Tirol
Der Belgier Jan Lauwers zählt zu den prägenden Theatermachern seiner Generation. Am Freitag gastiert er mit „All The Good“ erstmals in Tirol.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – Der Belgier Jan Lauwers zählt seit gut drei Jahrzehnten zu den maßgeblichen Theatermachern Europas. 2014 wurde er bei der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Mit seiner buchstäblich gnadenlosen Deutung von Luigi Nonos Musiktheater „Intolleranza 1960“ sorgte er bei den Salzburger Festspielen 2021 für Aufsehen. Bereits 2018 gelang ihm mit Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ ein eindrückliches und lange nachwirkendes Festspiel-Gesamtkunstwerk. Zwischen seinen Salzburg-Engagements erarbeitete Lauwers mit seiner Needcompany das Stück „All The Good“. 2019 kam es bei der Ruhrtriennale zur Uraufführung. Am Karfreitag gastieren Lauwers und sein international renommiertes Theaterkollektiv damit im Rahmen des Osterfestivals in der Innsbrucker Dogana. Es ist der erste Tirolauftritt des 65-Jährigen.
Er sei schon sehr gespannt, sagte Lauwers, als ihn die TT gestern in seinem Studio erreichte. Pandemiebedingt lag die Produktion lange auf Eis. „Die Erfahrungen der vergangenen Jahre, nicht nur die Covid-Krise, auch der Krieg in der Ukraine beeinflussen den Blick auf das Stück“, sagt er. „All The Good“ stellt Gegenwartsprobleme zur Diskussion. Das Stück spielt vor dem Hintergrund von Klimakatastrophe, Turbokapitalismus, Krieg und Terror. Und erzählt doch eine vermeintlich private Geschichte: Ein ehemaliger Soldat der Israelischen Armee wird von einer belgischen Künstlerfamilie aufgenommen. Die ist Lauwers eigener Familie nicht etwa nachgeformt, sie wird von seiner Frau Grace Ellen Barkey und seinen Kindern Romy und Victor dargestellt. Auch der Soldat Elik Niv spielt eine Variante seiner selbst. Lauwers lernte ihn 2014 bei einem Workshop in Israel kennen – und lud ihn zu sich in den Brüsseler Stadtteil Molenbeek ein. „Er kam unmittelbar nach dem Bombenanschlag auf den Flughafen Zaventem im März 2016 an. Molenbeek galt damals als ‚Höllenloch des Terrorismus‘, auf der Straße patrouillierten Soldaten. Da kommt ein Mensch, der im Krieg war und sich von der kriegerischen Politik abgewendet hat, ins friedliche Belgien – und das Erste, was er sieht, sind Panzer.“ Ihm sei schon davor klar gewesen, dass er mit Niv, der vom Elitesoldaten zum Tänzer geworden ist, arbeiten wollte – und in diesem Moment habe er auch erkannt, welche Geschichte er mit ihm erzählen müsse.
„Das Spannungsfeld zwischen Authentizität und Spiel beschäftigt mich“, sagt Jan Lauwers – und unterstreicht: „Im Kern geht es im Stück um die Frage, wie man heute Kunst machen kann: Kunst soll politisch sein und sie wird als politisch wahrgenommen, wenn sie in das Leben eingreift – aber was machen wir, wenn sich die echte Welt in die Kunst einmischt?“ Man müsse die Komplexität der Welt auch in die Kunst übersetzen und dabei aufpassen, nicht zum Dogmatiker zu werden, so Lauwers: „Können homosexuelle Figuren nur noch von homosexuellen Schauspielern gespielt werden? Muss man, um einen Mörder zu spielen, ein Mörder sein? Oder reicht es, wenn ich als alter, weißer Mann einfach die Klappe halte, wenn eine Frau mit Migrationsgeschichte von ihren Diskriminierungserfahrungen erzählt?“
Diesen Fragen und ihrem Irritationspotenzial gehe er in „All The Good“ nach, in Form einer fiktiven Geschichte mit echten Menschen – und einem hoffnungsvollen Ende. „Wir dürfen alles verlieren, außer den Optimismus – gerade in krisenhaften Zeiten muss man sich an die Möglichkeit von Schönheit klammern“, sagt Jan Lauwers – und fügt hinzu: „Ich jedenfalls will ein Optimist bleiben. Verzweifelt, aber optimistisch.“