„Tristan und Isolde“ an der Staatsoper: Rescher Liebestod in Bilderrätseln
Calixto Bieito wird „Tristan“ zum Traum, zur eigenen Welt als Wille und Vorstellung – und das Publikum darf dechiffrieren. Das sorgte am Premierenende für lauten Protest.
Von Stefan Musil
Wien – Ach Mathilde! Richard Wagner minnte im Schweizer Exil um Mathilde Wesendonck. Bis das (platonische?) Verhältnis entdeckt wurde. Mathilde blieb Bankiersgattin. Wagner verzog sich 1858 nach Venedig und komponierte den zweiten Aufzug „Tristan und Isolde“. Konzipiert hatte er das Ganze vier Jahre davor, als er auch Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ las. Der zweite Aufzug ist („O sink hernieder, Nacht der Liebe“) großes Liebesduett, orgiastischer musikalischer Klimax. Ein Rausch als Wahn über eine Liebe, die durch Konventionen unmöglich, erst im Tod wahr werden kann.
Noch mehr für Regisseur Calixto Bieito. Ihm wird „Tristan“ zum Traum, zur eigenen Welt als Wille und Vorstellung – und das Publikum darf dechiffrieren. Das sorgte am Premierenende für lauten Protest.
Bei Bieito fischt die resolut sehnende Isolde den seelenwunden Tristan schon auf der Überfahrt zur Hochzeit mit König Marke am Schlawittl aus dem Wasser. Das hat sich knöcheltief über die aschgraue Bühne verteilt. Schaukeln hängen aus dem Bühnenhimmel, Kinder darauf. Bald auch Tristan, im bürgerlichen Freizeitlook, und Isolde, im gepunkteten Vorstadtgartensommerfestkleid. Kleine Nebelschwaden paffen auf die Bühne. Ein bisschen traumgedeutet wird’s gleich interessanter. Wasser steht für Geburt und Leben? Die Kleinen sind ungeborene Wunschkinder? Die Schaukeln, das schwankende Schiff? Liebestrank? Den brauchen die zwei auf Hormonhöchststand nicht. Sie lecken sich ekstatisch die Hände. Und schweben dann im zweiten Aufzug in hermetischen Balkonboxen, sie im Speisezimmer, er im Herrenzimmer, auf und ab und unerreichbar aneinander vorbei. Ein schönes Bild, das Aktionismus wieder zerstört, wenn Tristan und Isolde ihre Zimmer verwüsten.
Vor lauter Liebestodsehnsucht schlitzt sich Tristan gleich selbst auf, um auf der Halde der zerborstenen Bürgerlichkeit auszubluten. Nackte Menschen werden fantasiert, um sich liebend zu vereinigen, während Tristan im Fieberrausch blutbesudelt in seinem Schreibtisch hängt. Stolpernd stellt ihm Isolde dann ihren Esstisch auf, auf dem beide hingesunken, endlich in trauter Häuslichkeit und Tod vereint sind.
Auch musikalisch gerät der Premierenabend disparat. Erstaunlich, in welch desolatem Zustand René Pape (Marke) auf die Bühne darf. Rätselhaft, warum Iain Paterson als farblos schwächelnder Kurwenal engagiert wurde. Andreas Schager legt sich als Tristan vom Start weg beeindruckend, aber allzu kraftmeiernd ins Zeug. Das fordert Tribut. Zwei Akte bleibt er stark, doch im dritten wird er schwach und versinkt markierend in den Orchesterwogen.
Martina Serafin exekutiert mit ihrem Sopran am Anschlag eine angestrengt hochresche, in der Höhe gern am Ziel hinaustremolierende Isolde. Neben ihr kann die robuste Brangäne von Ekaterina Gubanova nur punkten. Die übrigen Partien sowie der Chor bestehen ausgezeichnet. Musikchef Philippe Jordan erweist sich erneut als – gefeierter – Musterschüler für das Kleingedruckte, doch bleibt das von ihm bereitete Orchesterbett für die Liebesräusche von Tristan und Isolde allzu kühl.