KZ-Gedenkstätte in Gusen: Ein Mahnmal mitten im Ort
Am 5. Mai 1945 befreiten US-Truppen die Konzentrationslager Mauthausen und Gusen. Zunehmend rückt auch Gusen in den Mittelpunkt des Interesses.
Von Wolfgang Sablatnig
Gusen – Aus dem ersten Stock schauen die Nachbarn in den Hof des Mahnmals mit dem Krematorium des ehemaligen Konzentrationslagers Gusen. Wo in der NS-Zeit Menschen litten, haben in den Jahrzehnten seit 1945 Familien ihre Häuser und Existenzen aufgebaut. Jetzt plant die Republik eine neue Gedenkstätte in dem Ort 20 Kilometer östlich von Linz. Die Form ist offen: „Ich frage mich, ob wir nicht etwas Neues entwickeln können, von dem wir noch gar nicht wissen, wie es aussieht“, sagt Barbara Glück, Leiterin des Mauthausen-Memorial. Sie ist auch für Gusen zuständig.
Gusen gehört zur Gemeinde Langenstein. Alltag und Geschichte sind nicht zu trennen. Bereits in den 1960er-Jahren kauften Überlebende das Grundstück mit dem ehemaligen Krematorium. Auf dieser Parzelle – nicht größer als für ein Einfamilienhaus – errichteten sie das Memorial. Angehörige der Toten bringen im Mahnmal Gedenktafeln an – für den Ehemann, für den Vater, gestorben für die Heimat, wie oft zu lesen ist. „Wir bekommen noch immer Anfragen wegen Gedenktafeln“, berichtet Glück.
„In Gusen waren zum Zeitpunkt der Befreiung mehr Menschen inhaftiert als in Mauthausen“, sagt die Leiterin der Gedenkstätte. 70.000 Menschen aus 30 Nationen waren zwischen 1939 und 1945 eingesperrt. Sie mussten im Steinbruch schuften und unterirdische Stollen für die Rüstungsindustrie anlegen. Mehr als die Hälfte starb.
In beiden Lagern rückten am 5. Mai 1945 US-Truppen ein. Danach entwickelten sich beide Orte sehr unterschiedlich. Mauthausen wurde 1947 von den sowjetischen Besatzern an die Republik Österreich übergeben. 1949 wurde auf dem Hügel oberhalb des Ortes die Gedenkstätte eröffnet. Bis zu 300.000 Menschen pro Jahr besuchen das ehemalige Lager. Viele kommen mit ihren Schulklassen. „Jeder dritte Schüler war einmal in Mauthausen“, sagt Glück. Auch Polizei und Bundesheer bauen die Gedenkstätte in die Ausbildung ein.
Gusen nur wenige Kilometer weiter hingegen verschwand über lange Jahre aus dem Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit. Die Bewohner des Ortes und der Umgebung trugen Gebäude und Mauern ab und nutzten das Baumaterial. Was an gemauerten Häusern geblieben war, nutzten Firmen. Das Eingangsgebäude – das „Jourhaus“ – bauten die neuen Besitzer zur prächtigen Villa aus. Zwei große Häuser beherbergten eine Champignon-Zucht. Jetzt hat dort eine Firma für Kunststoff-Recycling ihren Sitz. „Wir müssen mit dem leben, was da geschehen ist“, sagt der Langensteiner Bürgermeister Christian Aufreiter (SPÖ).
Glück ist seit 2005 Leiterin der Gedenkstätte Mauthausen. Seit 1997 ist diese auch für Gusen zuständig. Neben dem Mahnmal entstand ein Besucherzentrum mit einer Ausstellung. Regionale Initiativen kümmerten sich um die Erinnerung. Die Gemeinden Mauthausen, Langenstein und das benachbarte St. Georgen gründeten die „Bewusstseinsregion“.
Auch international gab es Druck. Viele Opfer stammten aus Polen. Die dortige Regierung drohte, verbleibende Gebäude und Grundstücke notfalls selbst anzukaufen – das machte dann doch die Republik Österreich.
Aufsehen und Unruhe erregte auch eine TV-Dokumentation, die von Hinweisen auf ein unterirdisches Konzentrationslager mit Tausenden Toten sprach. Glück geht davon aus, dass der Filmemacher irrt: „Wir sind die Ersten, die sich für neue Erkenntnisse interessieren. Wir sollten aber seriös bleiben.“
Sie schaut lieber nach vorne. Zu Jahresbeginn wurde der Ankauf weiterer Teile des KZ abgeschlossen: Der Appellplatz ist bereits von Schutt und Sträuchern gesäubert. Dabei kam der Boden der Küchenbaracke ans Licht. Die Trutzburg aus Beton ein Stück weiter ist der Schotterbrecher des Steinbruchs. Der Lagerplatz eines Granitwerks daneben ist noch in Betrieb.
Barbara Glück steht am Appellplatz. Sie hat sich eineinhalb Jahre Zeit genommen, um Ideen für die Gedenkstätte zu entwickeln. Einbinden will sie einen internationalen Beirat. Und sie verspricht, auf die Menschen im Ort zu hören: „Die Gedenkstätte muss in den Alltag eingebunden sein. Nur so kann das Projekt nachhaltig sein.“
Das sieht auch Bürgermeister Aufreiter so. Die Aufgabe sei nicht leicht, sagte er zur TT. Aber: „Wir wollen ein Miteinander schaffen.“
Gedenken an die Befreiung
Am 5. Mai 1945 befreiten US-Soldaten die Überlebenden in den Konzentrationslagern Mauthausen und Gusen. In Mauthausen und seinen Nebenlagern hatten die nationalsozialistischen Machthaber an die 200.000 Menschen inhaftiert. Ihr Schicksal war „Vernichtung durch Arbeit“. Etwa die Hälfte überlebte nicht.
Der Jahrestag der Befreiung Mauthausens ist Anlass für Feiern und Gedenkveranstaltungen. Erstmals wird am 4. Mai das offizielle Österreich auch am Appellplatz des Konzentrationslagers Gusen der Opfer gedenken. Ihre Namen werden auch an die Außenwand der Gedenkstätte projiziert.
Am 15. Mai findet in Mauthausen die internationale Befreiungsfeier statt. Am 8. Mai lädt das Mauthausen Komitee auf den Heldenplatz in Wien zum „Fest der Freude“. (TT)