Krieg in der Ukraine

Ukrainische Ärzte retten auch vielen russischen Soldaten das Leben

In die Klinik der ukrainischen Stadt Saporischschja im Südosten des Landes werden die Verletzten von der nahen Front eingeliefert – auch russische Soldaten.
© AFP/Jones

Auch wenn ihnen manchmal die Motivation fehle, die Wunden des Feindes zu heilen, arbeiten Mediziner im Krankenhaus der ukrainischen Stadt Saporischschja unter Hochdruck. Einerseits wegen des hippokratischen Eides, andererseits um russische Soldaten gegen ukrainische Gefangene austauschen zu können.

Von Joris Fioriti und Joshua Melvin/AFP

Kiew/Moskau – Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine lebt Farad Gocharowitsch Ali-Schach praktisch im Krankenhaus. Er operiere "20 Stunden am Tag", manchmal 20 Patienten nacheinander, sagt der Chirurg. In seine Klinik in der ukrainischen Stadt Saporischschja im Südosten des Landes werden die Verletzten von der nahen Front eingeliefert – auch russische Soldaten.

"Wir behandeln sie, aber vielleicht sollten wir das nicht. Vielleicht sollten wir sie einfach an Ort und Stelle lassen, als Dünger für unsere Erde", sagt Ali-Schach. Ihm fehle die "Motivation", die Wunden des Feindes zu heilen. "Aber wenn man die russischen Soldaten gut pflegt, kann man sie gegen gefangene ukrainische Soldaten austauschen."

Klinik Saporischschja als Zentrum für Kriegsverletzte

Seit sich der russische Angriff auf den Osten und Süden der Ukraine konzentriert, ist die Industriestadt Saporischschja zu einem Zentrum für Flüchtlinge und Kriegsverletzte geworden. Die Fenster der Klinik sind mit Planen verhängt, damit das Krankenhaus nicht selbst zum Angriffsziel wird und die Patienten im Fall des Falles nicht durch Splitter der Scheiben verletzt werden. 200 Gesundheitseinrichtungen wurde nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation in diesem Krieg bereits angegriffen.

Auch tagsüber liegt das Krankenhaus im Halbdunkel, Gespräche werden im Licht einer Schreibtischlampe geführt. Chirurg Ali-Schach zeigt auf seinem Handy Fotos von den Verletzungen, mit denen er es nun tagtäglich zu tun hat. Auf einem ist ein abgerissenes Bein zu sehen, das nur noch von einem Stück Haut am Körper gehalten wird. "Das kommt sehr häufig vor", sagt der Arzt. "Wir konnten die Gefäße wiederherstellen und dann die Extremitäten befestigen." Auf einem anderen Bild ist ein Arm fast abgetrennt. Auch dieser Patient sei gerettet worden, berichtet der Arzt nüchtern.

"Wir haben gelernt, mit solchen Verletzungen umzugehen. Wir machen eine sehr harte Arbeit, aber wir helfen unserem Land", antwortet Ali-Schach auf die Frage, wie er all dieses Leid ertragen könne.

Austausch gegen gefangene ukrainische Soldaten

Überall im Krankenhaus stehen Kartons mit Kleidung und medizinischem Material. Die Mittel sind knapp. Und einen Teil davon müssten sie opfern, um "Tiere" zu behandeln, empört sich Kommandant Viktor Pyssanko, der Leiter des Militärkrankenhauses von Saporischschja und meint damit russische Soldaten. Die seien "hirnlose junge Leute", getränkt in russische "Propaganda". Sie behaupteten, die Ukraine zu "befreien", "wollen aber so viele Ukrainer wie möglich töten", wettert der Kommandant. Das Militärkrankenhaus in Saporischschja versuche, "so viele wie möglich zu retten", sagt er – mit dem einzigen Ziel, "sie gegen unsere eigenen Soldaten auszutauschen".

Mehrmals wurden bereits Gefangene zwischen Moskau und Kiew ausgetauscht. Bekannt wurde unter anderem der Fall des von Russland entführten Bürgermeisters von Melitopol, Iwan Fedorow, im März. Er wurde nach Angaben des Kreml im Austausch gegen neun Russen freigelassen. Am Freitag wurden 28 ukrainische Soldaten und 13 Zivilisten, unter ihnen ein orthodoxer Priester, ausgetauscht, wie die stellvertretende Regierungschefin Iryna Wereschtschuk mitteilte.

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"Diese Typen wirkten deprimiert"

In einem zivilen Krankenhaus in Saporischschja wurden drei russische Soldaten drei Wochen lang unter Bewachung wieder auf die Beine gebracht. Ende April seien sie den ukrainischen Sicherheitskräften übergeben worden, sagt der Arzt Wasily, der nur seinen Vornamen nennen will. "Diese Typen wirkten deprimiert, am Boden zerstört, nicht aggressiv", erzählt er. "Deshalb haben wir nie das Bedürfnis gehabt, uns verächtlich ihnen gegenüber zu verhalten."

Unter Medizinern sei schwarzer Humor üblich, sagt Wasily. "Da haben wir Witze darüber gemacht, dass wir ihnen wehtun könnten. Aber das war's dann auch schon, denn schließlich gilt es, den hippokratischen Eid einzuhalten", sagt der Arzt. Er habe nie den Wunsch verspürt, russische Soldaten zu quälen. "Wenn ich solche Gedanken hätte, wäre ich kein Arzt." (APA/AFP)

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