Hintergrund

Schweden: Ein NATO-Aspirant mit Großmachtvergangenheit

Auch die Gripen-Kampfjets der schwedischen Luftwaffe sind bei einer NATO-Mitgliedschaft Teil des Verteidigungsbundes.
© AFP/Montgomery

Am 11. April vollzogen die Skandinavier ihre Abkehr von zwei Jahrhunderten Bündnisfreiheit – jetzt ist der NATO-Mitgliedsantrag unterzeichnet. Ein neues Kapitel in der bewegten Geschichte des Landes.

Von Andreas Stangl/APA

Stockholm – Schwedens Außenministerin Ann Linde hat am Dienstag den NATO-Mitgliedsantrag ihres Landes unterzeichnet. Noch am 16. Februar, eine Woche vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine, hatte Außenministerin Ann Linde im Einklang mit der traditionellen Politik der Bündnisfreiheit verkündet, ein NATO-Beitritt Schwedens stünde nicht zur Debatte.

Nach Beginn des Krieges in der Ukraine brachte Verteidigungsminister Peter Hultqvist zunächst eine Verteidigungsallianz mit Finnland unter US-Ägide als Reaktion auf die geänderte Sicherheitslage ins Spiel. Aber auch eine solche Variante hätte eine Abkehr von Schwedens Neutralitätspolitik bedeutet. Im Jahr 1923 musste ein schwedischer Außenminister zurücktreten, nachdem er die Idee einer Verteidigungsunion mit Finnland öffentlich geäußert hatte.

Als Anfang April hinter den Kulissen klar wurde, dass Finnland definitiv in die NATO strebt, schwenkte die schwedische Regierung um. Als Datum für den Schwenk gilt der 11. April – jener Tag an dem sich auch die rechts-oppositionellen Schwedendemokraten für einen NATO-Beitritt Schwedens gemeinsam mit Finnland aussprachen.

Neutralitätspolitik entwickelte sich nach und nach

Schwedens Neutralitätspolitik entwickelte sich nach und nach in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auslöser war unter anderem der Verlust Finnlands im Jahr 1809, mit dem Schwedens Status als europäische Großmacht endgültig passé war.

Unter König Gustav II. Adolf, Königin Christina und Karl X. hatte Schweden im 17. Jahrhundert zahlreiche Gebiete rund um die Ostsee sowie ehemalige Teile Norwegens und Dänemarks erworben. Zu Schweden gehörten damals etwa Teile Norddeutschlands (Pommern), Estland und Teile Lettlands sowie heute russische Gebiete wie Ingermanland und Ostkarelien. Es war der russische Zar Peter I., der die regionale Vormachtstellung Schwedens im Großen Nordischen Krieg (1700-1721) beendete. Als entscheidendes Ereignis gilt die Niederlage des schwedischen Königs Karl XII. bei Poltawa (heute Ukraine) im Jahr 1709. Nach dem Krieg musste Schweden die meisten seiner davor eroberten Gebiete wieder abtreten.

Hat den Antrag auf NATO-Mitgliedschaft am Dienstag unterzeichnet: Schwedens Außenministerin Ann Linde.
© AFP/Montgomery

Nachdem auch noch Finnland verloren war und die Aneignung Norwegens 1814 in einem Krieg scheiterte, entwickelte Schweden unter dem neuen Herrscherhaus Bernadotte eine neue Identität als neutrales Land. Der Grundsatz, sich aus den Konflikten anderer Länder herauszuhalten hielt im Wesentlichen bis zum heutigen Tag. Schwedische Freiwillige kämpften im Dänisch-Deutschen Krieg (1864) sowie auf finnischer Seite im Winterkrieg (1939/40) und im Fortsetzungskrieg (1941-1944).

Bisher nur eine echte Ausnahme

Eine echte Ausnahme von Schwedens neutraler Rolle war hingegen die Entsendung schwedischer Truppen auf die zu Finnland gehörenden Åland-Inseln während des finnischen Bürgerkriegs im Jahr 1918. Die Erlaubnis, während des Zweiten Weltkriegs deutsche Truppen über schwedisches Territorium transportieren zu lassen, war ebenfalls ein Bruch der Neutralität.

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Während des Kalten Krieges mussten sich vereinzelt führende schwedische Politiker für bestimmte Haltungen rechtfertigen. So gab es innenpolitischen Streit, als die sozialdemokratische Regierung 1959 dem Chef der Rechtspartei, Jari Hjalmarson den Posten als UNO-Gesandter verweigerte, weil dieser allzu laut die Sowjetunion kritisiert hatte. Auch Olof Palme geriet Anfang der 1970er-Jahre wegen seines Engagements gegen den Vietnamkrieg der USA in die Kritik.

Die schwedische Neutralität wurde nach dem Beitritt des Landes zur EU im Jahr 1995 (gemeinsam mit Österreich und Finnland) infrage gestellt und schließlich in eine militärische Bündnisfreiheit umgedeutet ("Alliansfrihet"). Diese Linie hielt bis zum 11. April 2022. (APA)

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