„Die Passagierin“ im Landestheater: Mitten ins Herz getroffen
Die Premiere der „Passagierin“ von Mieczysław Weinberg geriet zu einer Sternstunde des Tiroler Landestheaters.
Von Wolfgang Otter
Innsbruck – Nein! Es erwartet einen kein vergnüglicher, in Arienkoloraturen und süßen Melodien schwelgender Opernabend. Es ist weit weg von der eigenen Wohlfühlzone, was sich da auf der Bühne abspielt. Es tut weh, trifft einen ins Herz. Auch weil es so real ist, ein dunkler Teil unserer Geschichte, der hier drastisch vor Augen geführt wird.
Intendant Johannes Reitmeier wagte es, Mieczysław Weinbergs hochemotionale, dramatische und traurige Oper „Die Passagierin“ auf die Bühne des Tiroler Landestheaters zu bringen. Ein Werk, das in Russland nicht aufgeführt werden durfte und erst vor etwas mehr als zehn Jahren bei den Bregenzer Festspielen erstmals szenisch zu erleben war.
Weinbergs Familie durchlebte die Hölle der Verfolgung. Seine Familie starb durch die Hand der Nazis, sein Schwiegervater durch Stalins Geheimpolizei. Dieses Grauen verpackt der Komponist in der Musik, mit der er die Geschichte der „Passagierin“ nach dem gleichnamigen Roman von Zofia Posmysz (Text von Alexander Medwedew) unterlegt. Mit dramatischer Wucht oder auch hauchender Intensität, jeder Ton, jede Harmonie sorgt für Gänsehautmomente und führt einen tiefer hinein in den Strudel, hinein in die Todesmaschine Auschwitz.
Reitmeier inszeniert stringent, ohne überflüssiges Beiwerk, so gelingt es ihm, stimmig und packend das Geschehen voranzutreiben. Thomas Dörfler schuf dazu ein passendes Bühnenbild, das sich vom Schiff hin zur KZ-Baracke dreht, und Ralph Kopp taucht die Bühne in ein mystisches Licht, mit dem der Übergang von Erinnerung in Realität sichtbar wird. Michael D. Zimmermann bleibt bei den Kostümen bei der historischen Vorgabe.
Die Premiere am Samstagabend war die Stunde zweier großer Sängerinnen, die den Hauptrollen Kontur und Persönlichkeit gaben: Jennifer Maines als KZ-Wärterin Lisa und Nadja Stefanoff als KZ-Gefangene Marta. Als Lisa Marta auf dem Schiff nach Brasilien, wohin sie mit ihrem Diplomaten-Ehemann (großartig gesungen von Roman Payer) unterwegs ist, wieder trifft, beginnt das Erinnern an ihre Zeit im Todeslager. Lisa konnte Marta aber nicht brechen, auch nicht ihren Verlobten Tadeusz (gelungen gesungen und verkörpert von Alec Avedissian). Lisa versucht sich und ein ganzes Land zu rechtfertigen, spricht von Pflicht und Krieg, aber der Chor der KZ-Häftlinge schreit ihr erbarmungslos „keine Vergebung“ entgegen.
Nadja Stefanoff verfügt über eine musikalische Ausdruckskraft und Stimme, die einen in ihren Bann zieht. Zugleich fand sie in Jennifer Maines eine kongeniale Partnerin bzw. in diesem Fall Gegnerin, die ihr auch sängerisch und schauspielerisch in nichts nachsteht. Es war aber auch der Abend einer großen Ensembleleistung. Ein Bravo allen, die an diesem Abend in kleineren Rollen so gelungen mitwirkten.
Dirigent Tommaso Turchetta führte mit sicherer Hand die Musiker durch das schwer zu interpretierende Werk, gab perfekte Tempi vor, bremste oder trieb vorwärts, wo es notwendig war. Möglich war das auch, weil ein bravourös spielendes Tiroler Symphonieorchester Innsbruck und bestens singender Chor und Extrachor des TLT sich zu einem Ganzen vereinten.
Die Premiere dürfte sich in die Sternstunden des Hauses einreihen. Zugleich ist das Stück immens wichtig: Denn wir dürfen nie vergessen.
Info: Die Passagierin. Bis 10. Juli, nächste Vorstellung: Freitag, 10. Juni. www.landestheater.at