Inflation schießt nach oben: Druck auf EZB wächst, Zinsen dürften steigen
Angesichts der steigenden Inflation ist es wahrscheinlich, dass die EZB den Leitzins heuer zweimal anheben dürfte. Damit könnte es bis September einen dreiviertel Prozentpunkt nach oben gehen.
Frankfurt – Die Inflation im Euroraum ist auf ein weiteres Rekordhoch geklettert und erhöht damit den Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB). Angeschoben von den Energiepreisen schoss die Teuerung im Mai auf 8,1 Prozent nach oben, wie das Statistikamt Eurostat am Dienstag nach einer ersten Schätzung mitteilte. Die Prognosen der Volkswirte, die mit einem neuen Rekordwert von 7,7 Prozent gerechnet hatten, wurden damit sogar noch übertroffen.
Die Inflationsrate ist inzwischen mehr als viermal so hoch wie das Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB), die 2,0 Prozent als optimales Niveau für die Wirtschaft anstrebt. Im März und April hatte die Teuerung im Währungsraum jeweils bei 7,4 Prozent gelegen.
Die Rufe dürften jetzt noch lauter werden, die angesichts des anhaltenden Inflationsschubs von den Währungshütern fordern, rasch mit Zinsanhebungen gegenzusteuern. "Wieder ein neuer Höchststand bei der Inflation, wieder ist die Inflation auch jenseits der teureren Energie- und Nahrungsmittel gestiegen", kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer die Daten. "Ich verstehe nicht, warum die EZB mit der Abschaffung ihrer Negativzinsen bis Ende des dritten Quartals warten möchte." EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte kürzlich in Aussicht gestellt, dass die Währungshüter voraussichtlich bis Ende September die Ära der Negativzinsen beenden werden. Aus Sicht von Krämer zeigt jede neue Inflationszahl, wie riskant dieses Zögern ist.
Ratsmitglied sagt große Zinserhöhung im September voraus
Die Rekordinflation erzwingt laut EZB-Ratsmitglied Peter Kazimir eine Zinserhöhung im Juli, der ein größerer Sprung nach oben im September folgen dürfte. "Wir werden diesen Schritt im Juli gehen. Die Zeit des Wartens und Zögerns ist vorbei", betonte der slowakische Notenbankchef am Dienstag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters.
Der Preisschub bei Energie hat die Inflation im Euroraum im Mai auf das Rekordhoch von 8,1 Prozent getrieben. Die EZB gerät damit unter Zugzwang, da sich die Rate meilenweit von ihrer Zielmarke 2,0 Prozent entfernt hat. Laut Kazimir ist es realistisch davon auszugehen, dass das Zinsniveau im Juli um einen Viertelprozent-Punkt angehoben wird. Im September könne es dann um einen halben Prozentpunkt erhöht werden.
Leitzins weiter bei 0 Prozent
Aktuell liegt der Einlagensatz im Euroraum bei minus 0,5 Prozent. Das heißt, Banken müssen Gebühren zahlen, wenn sie bei der Notenbank Geld horten. Der Leitzins liegt derzeit bei 0,0 Prozent. Laut EZB-Chefin Christine Lagarde dürften Negativzinsen bis Ende des dritten Quartals Geschichte sein und weitere Anhebungen folgen. Die nächsten Zins-Sitzungen der EZB stehen am 9. Juni und am 21. Juli an. Die EZB will zunächst ihre milliardenschweren Anleihenkäufe beenden.
Das Abschalten dieses Programms gilt als Vorstufe einer Zinserhöhung, die laut EZB "einige Zeit" nach dem Ende der Anleihen-Zukäufe vollzogen werden soll. Die Entscheidung zum Ende der Kaufprogramms mit dem Kürzel APP wird Kazimir zufolge voraussichtlich auf der auswärtigen Zinssitzung in Amsterdam in der nächsten Woche getroffen: "Es ist klar, dass es kommen wird, aber wir haben es noch nicht schriftlich." Danach gehe es aus seiner Sicht darum, so schnell wie möglich den negativen Einlagesatz hinter sich zu lassen: "Für mich bedeutet dies: spätestens September."
Experten: Lagarde darf sich nicht vor Zinserhöhung scheuen
"Die EZB wird im Juli den Leitzins um 25 Basispunkte anheben", glaubt auch Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. "In Anbetracht der Inflationsdynamik wären aber auch 50 Basispunkte angebracht", meint der Experte. EZB-Chefin Christine Lagarde solle sich nicht davor scheuen, im zweiten Halbjahr einen deutlichen Kurswechsel einzuläuten. Der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot hatte bereits die Möglichkeit einer Zinsanhebung um einen halben Prozentpunkt ins Spiel gebracht.
In Deutschland, der größten Volkswirtschaft im Euroraum, schossen die Preise gemäß dem nach europäischem Standard berechneten Index von 7,8 Prozent im April sogar um 8,7 Prozent im Mai nach oben. In Frankreich kletterte die Teuerungsrate von 5,4 Prozent im April auf 5,8 Prozent. Energie verteuerte sich laut Eurostat im Zuge des Ukraine-Kriegs im Mai zum Vorjahr um 39,2 Prozent, nach einem Anstieg von 37,5 Prozent im April. Die Preise für unverarbeitete Lebensmittel zogen um 9,1 Prozent an, nach zuletzt 9,2 Prozent. Dienstleistungen verteuerten sich im Mai um 3,5 Prozent. Werden die Preise für Energie und unverarbeitete Lebensmittel herausgenommen nahm die Inflation – die sogenannte Kernrate – im Mai auf 4,4 Prozent zu, nach 3,9 Prozent im April. (APA, Reuters)